Vanden Plas

Zeit für neue Zaubertricks

In The Empyrean Equation Of The Long Lost Things ist unlängst ein neues Album von Vanden Plas erschienen. Auch mit ihrem neuen Keyboarder Alessandro Del Vecchio bleiben die Pfälzer eine der wertvollsten Bands im internationalen Progressive Metal — und klingen ganz nach sich selbst.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: Yannick S. Wagner

Die Ankündigung des neuen Albums ging einher mit dem ersten Besetzungswechsel ihrer Geschichte: Keyboarder Günter Werno hatte sich vor rund einem Jahr bei der 1990 gegründeten Formation ausgeklinkt — bleibt aber an den Theaterproduktionen und auf-wendigen Rock-Oper-Projekten beteiligt, die für die Musiker längst mehr sind als Nebenschauplätze ihres Tuns.

»Sein Wunsch, die Band zu verlassen, hat uns doch einigermaßen überrascht«, erklärt Sänger Andy Kuntz. »Irgendetwas hat für ihn einfach nicht mehr gepasst, was sich auch schon auf den beiden Teilen von The Ghost Xperiment abgezeichnet hat, an denen er sich nicht mehr mit demselben kreativen Input beteiligt hat wie sonst immer. Ihn zieht es mehr in die Instrumentalmusik, zum Arrangieren und noch mehr zum Theater. Wir haben so viele tolle gemeinsame Erinnerungen, dass man sich einem solchen Wunsch nicht einfach stur in den Weg stellt. Ausgebremst hat es uns aber nicht. Stephan Lill und ich waren schon immer die Hauptsongschreiber von Vanden Plas und daran hat sich ja nichts geändert.«

Die Berufung von Alessandro Del Vecchio zu Wernos Nachfolger dürften die wenigsten Szenebeobachter vorausgesehen haben. Leichtfertig hätten sie diese Entscheidung nicht getroffen, so der Sänger. Denn sie sind sich durchaus der Tatsache bewusst, dass der 44-jährige Del Vecchio durch seine Vielbeschäftigung als Komponist und Produzent für ihre Plattenfirma nicht nur mit offenen Armen empfangen werden und sich beweisen müssen wird.



»Wir kannten uns von einem anderen Projekt und wollten schon früher auf anderer Ebene zusammenarbeiten. Der Draht zueinander war einfach da, auch weil Alessandro als Musiker einen echten Prog-Background hat, von dem die meisten gar nichts wissen. Trotzdem haben wir lange überlegt und sehr intensiv miteinander beratschlagt, ob und wie eine Zusammenarbeit bei Vanden Plas Sinn machen könnte. Wir dürfen kein Risiko eingehen und brauchen eine langfristige Lösung für unsere Band und eine wirkliche kreative Triebfeder. Günter hat Vanden Plas mit seinem Gespür für Sounds sehr stark geprägt. Genau dieses Gespür besitzt Alessandro auch. Es sprach am Ende alles viel für ihn.«

Schnell wird klar: Del Vecchio fügt sich mit seinen Texturen derart nahtlos in den Stil und die Soundwelt von Vanden Plas ein, dass die allerwenigsten einen Besetzungswechsel überhaupt heraushören und stattdessen ein Album genießen werden, auf dem Vanden Plas in gewisser Weise ihre Vergangenheit wiederentdecken und sie fortschreiben.



Das Spiel mit Atmosphäre, großen Emotionen, großen Refrains, fesselnden Instrumentalpassagen und roten Text-Fäden ist Vanden Plas spätestens seit dem meisterlichen Beyond Daylight (2002) ins Blut übergegangen. Auf dem am 19. April erschienenen Empyrean Equation Of The Long Lost Things frischen sie zudem mit wieder härterem und robusterem Grundton alte Verbindungen zu The God Thing (1997) auf.

»Ein Konzept im eigentlichen Sinn verfolgt The Empyrean Equation Of The Long Lost Things zur Abwechslung mal nicht«, schickt Kuntz voraus. »Es ist eher eine Sammlung kleinerer Geschichten, die die wirklich bedeutsamen Dinge im Leben verhandeln. Eine erzählt von der Angst um einen geliebten Menschen und der Ohnmacht, ihn nicht halten oder retten zu können. Eine andere vom Verlust von Moral und Ethik.«



Die erste Single ›My Icarian Flight‹ bringt in unerwartet griffiger Form sämtliche Charakterzüge der Band zusammen — an Dream Theater geschulte Technik-Klimmzüge inklusive: »Der Song geht für mich in die Richtung eines modernen ›Holes In The Sky‹ von The Seraphic Clockwork oder ›Godmaker‹ von Chronicles Of The Immortals. Eingängig prägnant, pulsierend treibend und mit einer spannenden Doppelmessage.«

Auch ›They Call Me God‹ zählt zu den Highlights, eine orchestrierte Klavier-Nummer, die bis zum späten Einsetzen des Band-Dramas ein wenig an das AcCult-Cover ›Des Hauts, Des Bas‹ oder an eine Akustikfassung einer alten Marillion-Nummer erinnert und durchaus auch auf The God Thing hätte stehen können. Und dann wäre da noch ›March Of The Saints‹, das sich über fast 16 Minuten am Schluss des elften Albums von Vanden Plas ausbreiten darf und dabei ganz und gar nicht aufdringlich, konstruiert oder zerklüftet wirkt.



»Das ist wohl unsere monumentalste Komposition überhaupt«, zeigt sich der Sänger begeistert. »Es passiert eine ganze Menge, aber die einzelnen Segmente gehen sehr flüssig ineinander über. Wir haben uns getraut, dem Song wirklich zu geben, wonach er verlangte. Es ist ein Epos in der Tradition von ›Beyond Daylight‹ oder ›On My Way To Jerusalem‹, das das textliche Herzstück bildet und alle auf der Platte erzählten Geschichten am Ende sinnig zusammenfügt.«

Eine ausführliche Story zu Vanden Plas und The Empyrean Equation Of The Long Lost Things gibt es in ► ROCKS Nr 100 (03/2024).


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