Free

Free (1969)

Schlagzeug-Grooves, die Geschichten erzählen. Verspielte Bassläufe. Eine Ausnahmestimme, die Lust, Frust und Seelenschmerz nach außen krempelt und eine alles umgarnende Gitarre: Die 1968 gestarteten Free erschufen eine einzigartige Version des souldurchtränkten Heavy-Blues.

TEXT: DANIEL BÖHM

Ihr Einstand Tons Of Sobs (1968) war nicht nur gemessen an dem blutjungen Alter der vier Akteure ein bemerkenswert reifes und hartes Stück Musik. Keine 800 Pfund kostete die in wenigen Wochen eingespielte Heavy-Blues-Perle, auf der die Teenager Paul Rogers (Gesang), Paul Kossoff (Gitarre), Andy Fraser (der Bassist war mit 16 der jüngste in der Band) und Simon Kirke (Schlagzeug) ihr frühes Live-Set reproduzierten — und sich mit ›I’m A Mover‹, ›Walk In My Shadow‹ oder dem sexy tänzelnden ›Wild Indian Woman‹ unsterblich machten.



Als die Briten ein Jahr darauf zum zweiten Mal die Studiotüren hinter sich schlossen, klammerten sich Rodgers und Fraser in ihren Stücken nicht mehr ganz so eng an den klassischen, harten Blues. Stattdessen spielten sie mit Elementen des Soul und subtilen Stimmungen — und entdeckten die Kunst des Songwriting.

Einzig Paul Kossoff (sein markant-ökonomisches Gitarrenspiel mit dem heftigen, herzzerreißenden Vibrato ist ganz und gar außergewöhnlich) tat sich schwer mit den plötzlich verbindlicher ausgearbeiteten Arrangements, auf deren detailgetreue Umsetzung der Sänger wie auch der Bassist gleichermaßen Wert legen. Noch findet er sich zurecht: In Geniestreichen wie ›Woman‹, ›I’ll Be Creeping‹ und dem tänzelnden ›Songs Of Yesterday‹ blüht die Gruppe als kreatives Kollektiv geradezu auf.



Das Freiheitsgefühl, das Free in der Musik ihrer zweiten LP so genussvoll auslebten, sollte auch das Cover-Artwork von Ron Raffaelli transportieren. Zwar entstand das Album in einer Zeit, in der Musik und Plattenhüllen nicht unbedingt selten als zusammengehörige Kunstformen verstanden wurden. Dass sich ausgerechnet eine Heavy-Blues-Band ein solch esoterisch-erotisch angehauchtes Artwork wählte, war dennoch mindestens außergewöhnlich.



Raffaelli wurde 1943 in Hollywood geboren und verdiente sein Geld zunächst als Werbefotograf, der hin und wieder auch mal Musiker vors Objektiv zerrte. Bekannt wurde er allerdings erst durch seine Tätigkeit als Erotik-Fotograf, der viele kommerziell erfolgreiche Bücher veröffentlichte (beispielsweise den Kassenschlager Rapture von 1974).

Ron Raffaelli, der 2016 verstarb, erklärte in ROCKS: »Diese Plattenhülle hatte drei Aufgaben zu erfüllen. Sie sollte im Laden so viel Aufsehen erregen, dass potentielle Käufer die Platte in die Hand nehmen und sie sich genauer ansehen. Dann sollte der Käufer eine visuelle Vorstellung davon bekommen, wie die Musik auf der Platte in etwa klingt. Und dann mussten auch noch die Bandmitglieder vorgestellt werden. Das Cover-Model war Linda Blair, die Freundin eines Nachbarn. Sie war bildhübsch und gerade eben 18 Jahre alt. Für die Aufnahme baute ich eine Ebene aus übereinandergestapelten Holzboxen auf, die in der Mitte großzügig unterbrochen war. Von der einen Seite zur anderen kam man nur mit einem kräftigen Sprung. Den Flugmoment nach dem Absprung, diesen kurzen Moment völliger Bewegungsfreiheit, habe ich mit der Kamera festgehalten. Die Silhouette der nackten Frau wurde ausgeschnitten, auf ein Himmelfoto geklebt und mit Sternen verziert: ein Himmelskörper in einem himmlischen Körper sozusagen.«

Das Innencover wurde ähnlich aufregend gestaltet wie die Außenhülle: Hier ist dieselbe nackte junge Dame zu sehen, die im (Wüsten-)Sand von Holzblöcken mit den Gesichtern der Bandmitglieder umgeben ist. »Sie hält den Block mit Paul Rodgers' Gesicht in den Händen und bläst ihm zärtlich den Sand vom Kopf. She blew his mind...«


ROCKS PRÄSENTIERT

DAS AKTUELLE HEFT

Cover von ROCKS Nr. 102 (05/2024).