Sein Faible für Genres wie Pulp und Horror hat Gerrit Wustmann auf diesen Seiten in etlichen Rezensionen hinreichend dargestellt. Nun hat sich der ROCKS-Autor, der bislang insbesondere als Lyriker und Sachbuchautor in Erscheinung getreten ist, offenbar von seiner Lektüre inspirieren lassen und veröffentlicht „10 böse Geschichten, an denen nichts witzig ist. Gar nichts.“
So die verheißungsvolle wie programmatische Beschreibung auf der Buchrückseite. Der Klappentext verspricht „die perfekte Lektüre für lange dunkle Herbstabende. Oder für all jene, die an stillgelegten Strecken auf den Zug warten.“ Aber eigentlich ist es dann schon zu spät, denn man ist schon mittendrin in diesen Geschichten, die zumeist einen unwiderstehlichen Sog entwickeln und den Leser geschickt hineinziehen in ein auf vielfältige Weise obskures, unerklärliches Geschehen und dessen zwangsläufigen Fortgang bis zu einem unheilvollen Ende.
Dabei fängt es meist ganz banal an. Mit einer alltäglichen Situation, die durchaus vertraut erscheint. Wer wüsste nicht ab Überschreiten der 50 von diversen Zipperlein zu berichten? Und wer wünschte sich nicht unzerstörbare Gesundheit und hat nicht schon mal diverse Werbeflyer mit dubiosen Heilsversprechen im Briefkasten gehabt? Und sodann augenblicklich weggeworfen — hoffentlich. Dago, 56, mit ungesundem Hang zur Hypochondrie tut es nicht. Mit äußerst fatalen Folgen. Nein, das ist nicht witzig.
Ebenso wenig wie das Schicksal von Sal. Der erfolgreiche Manager verspricht seiner kleinen Tochter Nina in der Adventszeit, einem Obdachlosen, der ihr Mitleid erregt hat, fünf Euro zu geben — und tut es dann im Vorweihnachtsgetöse natürlich nicht. Ist ja nicht so wichtig. Dummerweise wäre es das aber doch gewesen, und so nimmt denn das Verhängnis seinen Lauf und man kommt nicht umhin, es Sal von Herzen zu gönnen. Nicht nur da zückt Wustmann den Spiegel und hält ihn den beschriebenen Artgenossen hin. Das ist nicht witzig und vielleicht nicht neu, aber zweifellos gut, spannend und unterhaltsam geschrieben.
„Falsche Fährten“ allerdings ist witzig. Sofern man sich mit deutschen, speziell öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimis schon mal den Abend verdorben hat. Ein böser Hieb, der trifft und beim Lesen Spaß macht. Die vielleicht böseste Story, die sich auch als Satire lesen lässt, steht gleich am Anfang. „Herr Gräber kommt zu Besuch“ und zweifelt die Existenz seines Gastgebers an. Ganz offiziell, denn Gräber ist Beamter und der Mensch, den er aufsucht, kann gar nicht existieren, weil er schlicht zu wenig konsumiert. Er lässt ihn ein Formular unterschreiben — und was dann passiert, sollte man nachlesen. Und künftig immer und überall das Kleingedruckte ganz genau studieren. Zehn böse Geschichte, an denen alles höchst unterhaltsam ist. Alles.