Greta Van Fleet

Reise zu den Sternen

Seit im Frühjahr 2017 ihre erste EP erschien, haben Greta Van Fleet einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Dem gewaltigen Hype hält ihr Langspiel-Debüt Anthem Of The Peaceful Army stand — und entkräftet zudem die Kritik, die junge Formation aus Michigan sei nicht mehr als eine dreiste Led Zeppelin-Kopie.

Hinter Greta Van Fleet liegt ein aufregender Sommer. Im Juni waren sie zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit in Europa unterwegs. Dabei konnte das Quartett nicht nur bei renommierten Großveranstaltungen wie Rock am Ring und dem englischen Download Festival auftreten, sondern auch zwei Stadion-Shows im Vorprogramm von Guns N’ Roses bestreiten, eine davon im Berliner Olympiastadion. »Das war eine überwältigende Erfahrung. Aber das würde wohl jeder so sehen, der vor so einer riesigen Menschenmenge spielen darf. Wir mögen ihre Musik, und gerade Slash finde ich wirklich klasse«, meint Gitarrist Jake Kiszka.

Vor sechs Jahren gründete der heute 22-Jährige die Band mit seinem singenden Zwillingsbruder Josh und ihrem jüngeren Bruder Sam (19) am Bass. 2013 stieß Schlagzeuger Danny Wagner zu ihnen. Er ist 18 und damit der Jüngste der Band mit dem seltsamen Namen: Benannt haben sich Greta Van Fleet nach einer Einwohnerin ihres Heimatortes Frankenmuth, einem rund hundert Kilometer von Detroit entfernten Fünftausend-Seelen-Örtchen, das im 19. Jahrhundert von deutschen Einwanderern gegründet wurde und dank seiner starken bayerischen Prägung inklusive eines jährlich stattfindenden Oktoberfestes auch als „Little Bavaria“ bekannt ist.

Als Ende März 2017 ihre erste Single ›Highway Tune‹ erschien, ging ein lautes Raunen durch die Rockszene. Riff, Groove und Stimme weckten den Anschein, es handele sich um einen neuen Song von Led Zeppelin. Die EP Black Smoke Rising, die im November 2017 um vier weitere Songs zum Mini-Album From The Fires aufgestockt wurde, verstärkte diesen Eindruck noch. Während die einen fehlende Originalität bemängelten, jubelten die anderen und kürten Greta Van Fleet kurzerhand zu den Rettern der Rockmusik.

»Mit einer der größten Rockbands aller Zeiten verglichen zu werden, ist eine Ehre. Natürlich gehören Led Zeppelin zu unseren Einflüssen. Aber nichts von unserem Sound war so geplant. Wir machen einfach nur die Musik, die wir gerne hören wollen«, versichert Jake Kiszka. Aufgewachsen seien sie vor allem mit klassischen Blues-Künstlern wie Muddy Waters, Howlin’ Wolf oder Elmore James, die einst auch dem Bleizeppelin als offenkundige Inspirations- und Ideenquellen dienten, sowie mit Folk-Platten von Arlo Guthrie, Joni Mitchell oder Bob Dylan.

Zum Repertoire ihrer frühen Konzerte gehörten neben eigenen Songs und Blues-Standards auch Stücke von Cream (›Outside Woman Blues‹) und Bad Company (›Ready For Love‹, ›Bad Company‹), fügt der Gitarrist hinzu. Mit dem Gros der zeitgenössischen Bands können sie hingegen wenig anfangen — abgesehen von wenigen Ausnahmen wie den Fleet Foxes, First Aid Kit, Rival Sons oder den Black Keys. »Unser Vater brachte eines Tages ihr Album Magic Potion mit nach Hause. Wir meinten überrascht: Das ist eine aktuelle Band?«, erinnert er sich. »Ich hatte zu Schulzeiten einen Kumpel, der Schlagzeug spielte. Mit dem habe ich dann in der Garage Songs von Magic Potion gezockt.«


Seither ist viel passiert: Der Erfolg von From The Fires sowie die in Nordamerika und Europa rasant steigenden Zuschauerzahlen bei ihren Konzerten haben dafür gesorgt, dass an ihr mit Spannung erwartetes Debütalbum eine hohe Erwartungshaltung geknüpft ist. Und tatsächlich hätten sie bei der Arbeit an Anthem Of The Peaceful Army Druck verspürt: »Allerdings nicht allzu viel. Wir sind die letzten anderthalb Jahre fast permanent auf Tour gewesen, da hat man gar nicht genug Zeit, um ständig über Druck nachzudenken. Ich würde sagen, dass eine Art freudige Aufregung überwogen hat. Wir haben immerhin schon ein gewisses Maß an Erfahrung ins Studio mitgenommen.«

Waren auf From The Fires in Gestalt von ›Meet On The Ledge‹, einem Song der Folkrocker Fairport Convention, und Sam Cookes Soul-Klassiker ›A Change Is Gonna Come‹ auch zwei Cover-Versionen vertreten, so enthält Anthem Of The Peaceful Army ausschließlich Eigenkompositionen. Genügend Abwechslung bieten die zehn Stücke dennoch: »Wir haben sie bewusst so ausgewählt, dass wir mit ihnen eine größere Bandbreite abbilden. Es gibt einige eher leichte, von akustischen Klängen dominierte Songs auf der Platte, aber auch ein paar richtig harte, aggressive Nummern«, findet Kiszka.

»Ich selbst wollte in Bezug auf mein Spiel noch vielfältigere Sounds einbauen. Also habe ich beispielsweise für den Titelsong auch eine Lap-Steel-Gitarre benutzt. Auch zu einer normalen Slide-Gitarre greife ich gerne mal, da habe ich mir einiges von Elmore James und Duane Allman abgeschaut, die neben Pete Townshend, Jimmy Page, Eric Clapton und natürlich Jimi Hendrix zu meinen großen Vorbildern zählen. In den Folk-lastigen Passagen habe ich mich hier und da am Picking von John Denver orientiert. Deren Anteil wollten wir bewusst etwas steigern, weil uns auch diese Art von Musik stark geprägt hat.«



Einige Songs des Albums, darunter ›When The Curtain Falls‹, ›The Cold Wind‹ und ›Lover, Leaver‹, gehören schon seit geraumer Zeit zu ihrem Live-Set. Es sind vor allem diese Nummern, in denen die Parallelen zu Led Zeppelin nach wie vor unverkennbar sind, wenngleich sie weniger durchsichtig erscheinen als noch im Vorjahr bei ›Highway Tune‹ oder ›Safari Song‹. Auch die ebenfalls bereits live erprobte Ballade ›You’re The One‹, die von einer akustischen Gitarre und Hammond-Klängen (beigesteuert von Bassist Sam Kiszka) untermalt wird, ist weiter von Page, Plant & Co. entfernt als zuvor etwa ›Flower Power‹.

»Wie bei Black Smoke Rising oder From The Fires haben wir teilweise auf Sachen zurückgegriffen, die über einen Zeitraum von drei Jahren entstanden sind. Die andere Hälfte der Scheibe haben wir spontan im Studio während der Aufnahmen verfasst. Es gab eine fruchtbare Phase von ungefähr zwei Wochen, in denen uns die Ideen nur so zugeflogen sind.«

Gerade neuere Stücke wie ›Brave New World‹, ›The New Day‹, ›Age Of Man‹ oder das verträumte Titellied mit seiner hippieartigen Botschaft setzen belebende Akzente, die maßgeblich dazu beitragen, dass Anthem Of The Peaceful Army ein sehr melodisches, abwechslungsreiches Werk geworden ist. Sie geben Frontmann Josh Kiszka Gelegenheit, seinen schrillen Gesang zumindest phasenweise zu drosseln, der irgendwo zwischen dem jungen Robert Plant und dem ebenso jungen Geddy Lee (Rush) ordentlich polarisiert.

»Das Album soll den Hörer auf eine Reise mitnehmen, die vom ersten bis zum letzten Lied dauert«, erklärt Kiszka. »Heutzutage konsumieren und kaufen viele nur noch einzelne Songs. Ich mag Spotify, iTunes und Youtube auch. Wir sind häufig unterwegs, da ist das einfach praktisch. Und viele Menschen sind über diese Angebote überhaupt erst mit unserer Musik in Berührung gekommen. Doch wir wollten mit der Platte etwas schaffen, was dem Hörer eine zusammenhängende Erfahrung bietet.«



Im Februar 2018 begann die Band während einer Tourpause mit den Aufnahmen und wechselte dafür zwischen Studios in Detroit und Nashville hin und her. Zur Seite standen ihr als Produzenten erneut Al Sutton und Marlon Young. Sutton ist Eigentümer der Rustbelt Studios im Detroiter Vorort Royal Oak und seit den späten Neunzigern als Toningenieur oder Mischer in zahlreiche Alben von Kid Rock involviert gewesen, Young seinerseits ist Gitarrist und Ko-Songwriter des populären Proll-Rockers. Nachdem sie zuvor für erste Demo-Aufnahmen durch verschiedene Studios in ihrer Umgebung gezogen waren, belegten Greta Van Fleet erstmals 2015 die Rustbelt Studios.

»Wir haben uns mit Al sofort gut verstanden. Er war bereit, mit uns für kleines Geld Demos zu produzieren. Große Ausgaben konnten wir uns nicht leisten. Al hat uns unter seine Fittiche genommen und uns erst mal so richtig mit der Arbeit in einem Studio und der ganzen Technik vertraut gemacht. Das ist ganz was anderes, als live zu spielen«, weiß Kiszka. »Nicht lange danach hat er auch Marlon hinzugeholt. Beide haben uns viel gelehrt über das Schreiben und Arrangieren von Songs. Ein Tipp von Al war „trim the fat“, lasst Überflüssiges weg und konzentriert euch aufs Wesentliche. Zudem hat er uns Geduld beigebracht: Anfangs waren wir sehr erpicht darauf, möglichst fix Material aufzunehmen und zu veröffentlichen. Er hat uns angehalten, den Songs Raum zum Wachsen zu geben und an ihnen zu feilen.«

Ein Demo fiel Branchenveteran Jason Flom in die Hände, dem Chef des heute zum Major Universal gehörenden Labels Lava Records. Flom, der einst Skid Row, Stone Temple Pilots oder Tori Amos zum Durchbruch verholfen hatte und später Katy Perry oder Lorde zu globalen Superstars machte, war davon so angetan, dass er die Band vom Fleck weg unter Vertrag nahm — der Startschuss zu einem kometenhaften Aufstieg.

Den Segen ihrer Eltern hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits erteilt bekommen. »Ihnen war zwar wichtig, dass wir erst mal ordentlich unsere Highschool-Abschlüsse machen. Aber sie haben schon früh gemerkt, wie bedeutsam die Musik für uns ist. Mein Vater hat mir meine erste Gitarre gekauft, als ich zwölf war: eine rote Fender Squier. Er hat selbst Gitarre und Mundharmonika gespielt, seine Klampfe lag immer irgendwo bei uns im Haus rum. Die meisten unserer Schulkumpels haben davon geträumt, erfolgreiche Sportler zu werden — wir hingegen wollten lieber rocken.«

Dass Brüder-Konstellationen in Bands nicht automatisch Harmonie garantieren, sondern im Gegenteil zu erbitterten Zwistigkeiten führen können, haben die Black Crowes, Oasis oder die frühen Dire Straits vorgemacht. Jake Kiszka fürchtet ein solches Szenario nicht. »Früher hat es bei uns immer mal geknallt. Doch das hat sich mit der Zeit gebessert. Wenn einer mal eine andere Meinung hat, dann respektieren wir das. Wir sind eben älter geworden«, schmunzelt er. »Da wir die gleichen Einflüsse haben, vertreten wir aber eh oft dieselben Ansichten. Wir spüren als Brüder eine enge Verbindung zueinander. Wir können ohne viele Worte miteinander kommunizieren und kennen unsere Körpersprache genau. Das ist auch auf der Bühne von Vorteil.«

Ab Ende Oktober gastieren Greta Van Fleet für drei Shows wieder in Deutschland. Fand ihre restlos ausverkaufte Tour im Frühjahr noch in großen Clubs statt, so treten sie diesmal bereits in mittelgroßen Hallen mit einer Kapazität von mehreren Tausend Zuschauern auf. »Ich kann das alles eigentlich kaum glauben. Im Grunde fangen wir ja gerade erst an«, staunt Kiszka. Surreal sei es ihnen auch vorgekommen, als im April Tom Hanks im Studio in Nashville bei ihnen hereinplatzte und sich spontan von ihrer Musik begeistert zeigte. Rita Wilson, die Frau des Hollywood-Stars, nahm nebenan ein Album auf. »Er meinte: Geile Scheiße! Ich mag dieses Zeug!«, lacht Jake Kiszka. »Wir saßen geplättet da und dachten nur: Wow! Das ist der schönste Teil des Ganzen.«

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