Tomi Julkunen sitzt auf heißen Kohlen. Der Gitarrist kann es kaum erwarten, der Öffentlichkeit sein neues Baby zu vorzustellen, das sich im Spannungsfeld von Action Rock’n’Roll und modernem Alternative genießen lässt. Wobei: So neu ist es gar nicht mehr, stöhnt der Finne.
»The Way It Burns ist schon seit einem Jahr fertig. Seitdem heißt es Abwarten und alle Nase lang eine Single veröffentlichen«, erzählt er in leidendem Tonfall — aber mit leuchtenden Augen. Insgesamt sechs Nummern haben Ginger Evil im Laufe der letzten Monate präsentiert; dieser als Wasserfall-Veröffentlichung bekannte Modus hat vornehmlichen den Sinn, auf diversen Streaming-Diensten wiederholte Aufmerksamkeit und damit Momentum zu generieren.
Julkunen versteht die Logik der Plattenfirma; begeistert ist er als bekennender Vertreter der alten Schule davon aber nicht. Und vielleicht hängt seine Ungeduld auch damit zusammen, dass seit den ersten Ideen für Ginger Evil rund zwanzig Jahre ins Land gezogen sind.
In ihren Grundzügen reicht die Geschichte dieses Vorhabens bis zum Beginn des Jahrtausends zurück. Das war eine bewegte Zeit im Leben des ruhigen wie sympathischen Skandinaviers: Nach drei Alben und der zwischenzeitlichen Auflösung der Milestones, mit denen er später unter anderem im Vorprogramm von Whitesnake und Deep Purple spielte, war er 2001 nach Dublin gezogen. Dort entstanden erste Song-Skizzen, die er nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt Helsinki im Jahr 2005 seinem Milestones-Mitstreiter Veli Palevaara (Bass) vorstellte.
»Mit Veli mache ich Musik, seit ich zwölf Jahre alt bin. Vier Tage, nachdem ich wieder in Finnland war, trafen wir uns zu einer Probe; damals noch mit einem anderen Schlagzeuger und einem zweiten Gitarristen. Das Problem war nur: Wir fanden keinen geeigneten Sänger. Es haben ein paar Leute vorgesungen, darunter auch durchaus bekannte Namen, aber nichts passte wirklich. Also haben wir das Projekt ungefähr ein Jahr später vorerst auf Eis gelegt. Erst nach dem bislang letzten Milestones-Album Beautiful Light (2019) hatten Veli und ich wieder das Gefühl, dass die Zeit für einen neuen Anlauf gekommen war. Und plötzlich lief uns Ella über den Weg. Gleich bei der ersten Probe stimmte die Chemie. Sie macht die Songs zu dem, was sie heute sind.«
Sängerin Ella Tepponen ist jemand, den man im Fußball wohl eine Unterschieds-Spielerin nennen würde. Ihr mal gefühlvoller, mal rockiger Mezzosopran erinnert an eine Mischung aus Guernica Mancini (früher Thundermother, heute The Gems) und Jennie-Ann Smith (Avatarium); ihr Bandkollege nennt sie ob ihrer beeindruckenden Bandbreite nach kurzem Zögern sogar »eine Rockversion von Whitney Houston«.
Ihr ausdrucksstarkes Organ verleiht den zwölf Stücken des Debüts viel Charakter und Seele. Möglicherweise ist ihr auch die belebende, aber niemals überbordende Theatralik zu verdanken, die sich durch die Songs von The Way It Burns zieht: Einen Großteil ihrer Bühnenerfahrung sammelte sie als Musical-Darstellerin im Theater der südfinnischen Stadt Kotka, wo sie unter anderem in der Adaption des Broadway-Stücks Addams Family zu sehen war.
Von ihr stammen auch die Grundideen für die ausgesprochen poetischen Texte des Erstlings. Ausgearbeitet wurden diese allerdings vom britischen Regisseur und Musikproduzenten Richard Stanley, der seit über fünfzig Jahren in Finnland lebt und in dieser Zeit mit diversen finnischen Rockbands arbeitete, etwa den legendären, vor allem in den siebziger Jahren populären Hurriganes.
»Wir haben ihn zu Hilfe genommen, weil Englisch nicht unsere Muttersprache ist, wir aber tiefergehende Texte schreiben wollten als das klassische „Ich lieb’ dich und du liebst mich“. Ich habe durch Zufall seine Telefonnummer bekommen und ihn einfach mal angerufen. Er klang zunächst nicht sonderlich interessiert und sagte mir, dass es einige Wochen dauern könne, bis er sich unsere Demos anhören würde. Zwei Tage später meldete er sich zurück und sagte zu. Er scheint also etwas in uns gehört zu haben. Es ist schon lustig: Lange passierte gar nichts — und plötzlich fielen alle Puzzlestücke an die richtige Stelle.«
Der Zufall spielte auch bei dem wohl herausragendsten Stück des Album eine tragende Rolle: Das emotional ergreifende ›Arrowhead‹ ist nämlich keine Komposition von Ginger Evil, sondern ein Cover des finnischen Blues- und Folk-Rockers J. Karjalainen mit dem Original-Titel ›Keihäänkärki‹.
»Er ist einer der bekanntesten Songwriter hier in Finnland«, erklärt Julkunen stolz. »Veli hat ihn zufällig auf der Straße getroffen und sie sind ins Gespräch gekommen. Irgendwann hat er uns angeboten, dass wir den Song covern; er hat sich mit seinem Co-Komponisten um die englische Übersetzung des Textes gekümmert. Es ist wirklich unglaublich, solche Dinge passieren doch eigentlich nicht! Wir hatten die Idee, unsere Version wie eine Fassung für MTV Unplugged klingen zu lassen. Sie unterscheidet sich ziemlich vom gitarrenlastigen Original, aber ich denke, wir sind ihm gerecht geworden.«
»Für mich persönlich ist die Nummer vor allem durch das Video etwas ganz Besonderes: Wir brauchten für die Hauptrolle einen älteren Herren. Da habe ich einfach meinen Vater gefragt. Er war sofort Feuer und Flamme und hat mir in dem Zusammenhang erzählt, dass er in seiner Jugend geschauspielert hat. Das wusste ich vorher gar nicht! Meine Schwestern haben geweint, als sie den Clip gesehen haben. Und ich bin stolz, nach all den Jahren als Musiker mit meinem Papa in einem Rock’n’Roll-Musikvideo zu sehen zu sein.«
Dieser Text stammt aus ► ROCKS Nr. 105 (02/2025).