Ghost

Impera

Spinefarm
VÖ: 2022

Geradezu gespenstisch gut

Es lohnt sich, bei dieser seltsamen Band ein bisschen weiter zu schauen, als bloß bis auf die Papstmütze von Papa Emeritus in seinen unterschiedlichen Inkarnationen. Mummenschanz allein macht eben noch keine Musik — und mit der hat der beispiellose Aufstieg der wohl originellsten Hardrock- und Metal-Band unserer Zeit mindestens genauso viel zu tun.

Abgesehen von der geheimnisvollen Aura ihres Sounds ist von der anfänglich noch stark ausgeprägten Mercyful Fate- und Blue Öyster Cult-Einfärbung ihrer Musik nicht mehr viel übriggeblieben. Ab Infestissumam (2013) begannen die Schweden damit, ihren Sound immer weiter aufzufächern und durch die Hinzunahme mannigfaltiger Einflüsse aus Bombast-Pop, Progressive Rock, Prog-Metal und hymnischem AOR sukzessive in seiner fantasievollen Form zu verändern — mit ihrem vierten Album Prequelle als einstweiligem Höhepunkt, auf dem Ghost ungewöhnlich filigran und streckenweise geradezu unverschämt poppig klangen, ohne dass ihr Konzept-Werk über Leben, Liebe, Glauben und Tod in der Zeit der Pest an schummriger Atmosphäre verloren hätte.

Auch auf dem neuen Opus spielt sie eine wirkungsvolle Rolle, auf dem sich Chefdenker Tobias Forge bildreich mit dem Aufstieg und Zusammenfall gesellschaftlicher Systeme befasst. Ohne aber zu dominieren, was bereits die ersten sieben Minuten dieses absolut brillant produzierten Bombast-Hardrock-Albums vorwegnehmen. Mit großer Geste jubilieren in ›Kaisarion‹ die Gitarren und schicken wärmende Sonnenstrahlen durch den kühlen Mystiknebel (Nachschlag gibt’s in ›Griftwood‹) — ein dramatisch-erhabenes Eröffnungsstück mit kräftigen Gitarren, andickender Hammondorgel und himmlischem Prog-Solo-Part, der in aller Kürze an die Phase von Derek Sherinian bei Dream Theater erinnert. ›Spillways‹ bringt zuckrigen Schweden-Pop aus dem Wirkungskreis von Max Martin mit Toto-AOR und gitarrengetriebenen Ghost-Hardrock zusammen, „normale“ Bands, etwa das Night Flight Orchestra, verteilen ein solches Meer hochinfektiöser melodischer Wendungen auf mehrere Songs.

Sagenhaft ist im Anschluss ›Call Me Little Sunshine‹, das mit einer lässig in den Klangraum hineinschwebenden Gitarrenfigur beginnt und mit Bollerbass und markant stapfendem Schlagzeug wechselweise an Metallica und breitbeinigem Spätachtziger-US-Hardrock erinnert. Und wer sich diese Chöre einmal genauer anhört, kann in ihnen manche Parallele zu Saigon Kick und Shadow Gallery erkennen. In ›Watcher In The Sky‹ spielen die Hardrock-Ghost riffstarken Prog Metal zwischen den späten und entschlackten Psychotic Waltz und lassen im harmonieseligen Gesang abermals Saigon Kick aus Miami auflodern.

Famos auch ›Hunter’s Moon‹, das in einer theatralischeren Version auf dem Soundtrack des Horrorfilms Halloween Kills platziert wurde. Im Kontext dieser Band völlig untypisch hingegen ist ›Twenties‹ mit der Anmutung eines bombastischen Hardrock-Endzeit-Musicals, dessen latenter Killing Joke-Vibe schaurig in die Glieder fährt.

Die verschachtelte Abschlusspreziose ›Respite On The Spitalfields‹ folgt in den ersten anderthalb Minuten dem epischen Aufbau von ›Call Me Little Sunshine‹ mit herrlich-schwebenden Chorus-Gitarren und hätte sich stilistisch auch vorzüglich auf Meliora gemacht. Den kurzen 1987-Moment identifiziere ein jeder für sich.

(9/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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