Als am 16. September 1991 erstmals das Video zur Ballade ›Don’t Cry‹ über die Mattscheiben flimmerte, befanden sich Guns N’ Roses auf dem Gipfel ihres Erfolgs. Erst am nächsten Tag sollte das zugehörige Album erscheinen — doch Use Your Illusion hatte sich bereits zu einem Massenphänomen entwickelt, das in den folgenden Wochen immer mächtiger wurde: Eine größere und streitbarere Hardrock-Band gab es in den frühen Neunzigern nicht. Wer die ganze Geschichte dieses schrulligen Klassikers nachlesen will, der 30 Songs auf zwei separaten Doppel-LPs verteilt, die zeitgleich veröffentlicht wurden, sollte dies am besten in der Titelgeschichte von ► ROCKS Nr. 72 (05/2019) tun.
Dafür, dass die Abschlussstatistik dieses zahllose Male verschobenen Album-Abenteuers eine Produktionszeitspanne von zwei Jahren und mindestens sieben genutzten Tonstudios ausweist, verliefen die eigentlichen Einspielungen der den Liedern zugrundeliegenden Basic-Tracks erstaunlich zügig, wundert sich Slash noch heute. Umso anstrengender wurde es allerdings, als es an die Filigranarbeit von Use Your Illusion ging. Denn diese Gruppe war mittlerweile eine andere (auch personell: Schlagzeuger Steven Adler wird seine Heroinsucht zum Verhängnis und gegen Matt Sorum ausgetauscht) als jene, die 1987 das epochale Appetite For Destruction in die Welt gerotzt hatte.
Vor allem einer war kaum wiederzuerkennen: Schon in einer frühen Kreativrunde legte Axl Rose den Entwurf zu einem ereignisreichen Bombast-Epos namens ›Estranged‹ vor, das er unter den Eindrücken der opulenten Musik von Queen und Elton John auf dem Klavier komponiert hatte — bald bestand der Skandal-Sänger darauf, gegen den Willen aller anderen Mitglieder von Guns N’ Roses, in Dizzy Reed einen Keyboarder in die Gruppe zu holen, der ihren Sound andicken und ihm selbst bei der Ausarbeitung komplizierter (Orchester-)Arrangements assistieren sollte, die ihm für seine Balladen vorschwebten.
Dass sich Roses Perfektionswahn besonders in den aufwendig arrangierten Bombast-Balladen ›Estranged‹ und ›November Rain‹ niederschlug, ist unschwer zu überhören. Aber auch in weniger beachteten Nummern wie dem energetischen und ungeheuer sleazigen Riff-Feger ›Don’t Damn Me‹ steckt viel Gesangsakribie: Wie Rose alleine in dieser schäumenden Abrechnung durch seine Psyche pflügt und immer wahnsinnigere und aufgebrachtere Singstimmen für seine Textzeilen findet, ist einfach große Klasse. Und auch ›Bad Obsession‹, das mit seiner Slidegitarre und dem klimperndem Honky-Tonk-Klavier nach einem gemeinsamen Nachmittag der Rolling Stones und Aerosmith tönt, führt trotz aller gegebenen Härte eindrücklich vor Augen, wie stark sich Guns N’ Roses seit dem angriffslustigen Gossen-Sleaze ihres Debüts verändert hatten.
Dass diese mit 270 Euro nicht gerade erschwingliche Deluxe-Box mit sieben CDs und einer Blu-ray keinerlei Outtakes, Demos oder Arbeitsversionen bietet, anhand derer sich die durchaus schwierige Genese von Use Your Illusion nachvollziehen ließe, untergräbt die Sinnhaftigkeit dieses Sets erheblich. Enthalten ist das remasterte Originalmaterial (für ›November Rain‹ wurden zudem die Orchesterspuren neu arrangiert und erstmals von einem 50-köpfigen Orchester eingespielt), dazu gibt es zwei durchaus reizvolle Konzertmitschnitte: Einer stammt vom 16. Mai 1991, als sich die Gunners im New Yorker Ritz Theatre fit machten für ihre Use Your Illusion-Tour, die sich — anders als das Album — nicht ein weiteres Mal verschieben ließ. Hier ist Gitarrist Izzy Stradlin noch mit von der Partie.
Der andere ist ein Mitschnitt der Show vom 25. Januar 1992 im Thomas & Mack Center in Las Vegas. Als Beigaben gibt es unter anderem ein 100-seitiges Hardcover-Buch, Replikate des Conspiracy Inc.-Fanclub-Kits und vier Backstage-Pässe.