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Mavis Staples

Sad And Beautiful World

Anti
VÖ: 2025

Mit durchdringender Kraft, vollem Ausdruck und Haltung

Auch wenn man sich mittlerweile daran gewöhnen durfte, im Dreijahrestakt neue Musik von Mavis Staples zu hören, sind Alben von ihr immer etwas ganz Besonderes. Nicht bloß wegen ihres Alters. 86 Jahre ist die Grande Dame mittlerweile jung, die sich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten zu einer unwahrscheinlichen Autorität des zeitgenössischen Gospel, (Southern-)Soul, Folk, Roots-Rock und Blues emporsang. Zum ersten Mal trat sie 1948 mit dem Familienensemble The Staple Singers in Erscheinung, die Ende der fünfziger Jahre zu Lautsprechern der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und mit dem Wechsel zu Stax Records zu Millionensellern avancierten (›I’ll Take You There‹, ›Respect Yourself‹).

Der Tod ihres Vaters Pops Staples stürzte Mavis in eine schwere Sinnkrise, die sie 2004 überwand und zur Musik zurückfinden ließ. Auf Have A Little Faith noch zaghaft und arg poliert; seit der Zusammenarbeit mit Ry Cooder zwei Jahre darauf zunehmend entfesselt: We’ll Never Turn Back (2007) geriet zu einem elektrisierenden und sehr persönlichen Album, auf dem sie Songs der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung interpretierte, aus dem Zeitkontext der fünfziger und sechziger Jahre heraushob und im gesellschaftlichen Klima der USA verankerte. Wilco-Chef Jeff Tweedy, mit dem sie anschließend über mehrere essenzielle Alben zusammenarbeitete, gab ihrer Solo-Karriere endgültig bleibenden Schwung — ein gleichfalls renommierter Kurator und Liebhaber amerikanischer Roots-Musik, wenngleich aus einer jüngeren Generation. Wie auch Ben Harper, mit dem Staples das gemeinsame We Get By (2019) aufnahm.

Sad And Beautiful World ist eine Kooperation mit Brad Cook, der zuvor als Produzent unter anderem für Bon Iver und den Americana-Musiker Nathaniel Rateliff in Erscheinung trat. Anders als seine beiden Vorgänger suchte er sich eine weniger aktive und einfärbende Rolle im Hintergrund. Damit ist er nicht alleine. Dass hier Gäste wie Derek Trucks, Buddy Guy, Bonnie Raitt und auch Jeff Tweedy gemeinsam mit Staples’ bewährter Band im Studio agieren, nimmt man eher beiläufig wahr: Der Zauber dieser Platte entsteht in ihrem intimen Zusammenspiel und dem fühlbaren Respekt vor Mavis Staples, die mit einer enormen stimmlichen Präsenz den Raum einnimmt — gospeldurchflossen, vom Alter gefärbt, mit einer durchdringenden Kraft, vollem Ausdruck und Haltung.

Politisch wach und gesellschaftlich engagiert ist Staples in ihrem langen Leben immer geblieben. Sie hat viel und laut gekämpft, wachgerüttelt und zu versöhnen versucht, nicht zuletzt in ihrer Musik, in der sich ihr Glaube, ihre erlebte Fassungslosigkeit und Wut über ihr Heimatland zu etwas sehr Kraftvollem vermischten, das bei aller Brisanz am Ende immer auf etwas Positives und Optimistisches zulief: Ihr Ziel war stets Veränderung. Das hat sich nicht geändert. Und doch sind das Temperament und das Sentiment dieses irrsinnig gemütlichen Roots-Albums spürbar anders als zuletzt.

Mavis Staples besingt demütig die „traurige und schöne Welt“, manchmal resigniert, fast ohnmächtig, dann wieder sehr versöhnlich und voller Hoffnung, als würde sie in festem Gottvertrauen ein Stück von allem loslassen. Im ruhig vorgetragenen und umso intensiver unter die Haut gehenden ›Beautiful Stranger‹ von Kevin Morby klingt das beinahe so, als würde sich Großmutter ihren geliebten Enkeln und schließlich sich selbst zuwenden. Mit ihrer Überführung von ›Godspeed‹ in den spirituellen Soul mit Andockstellen für das Pastorale des Jazz von John Coltrane dürfte sie Urheber Frank Ocean als modernen R&B- und Rap-Künstler zu Tränen rühren. Das Titelstück mit seinem Trauermarsch-Rhythmus stammt von Mark „Sparklehorse“ Linkous und erreicht eine Eindringlichkeit, die an artverwandte Lieder wie ›Only A River‹ von Bob Weir (Blue Mountain, 2016) denken lässt. ›Hard Times‹ wiederum ist ein Stück von der Alt-Country-Sängerin Gillian Welch, das nicht nur wegen Trucks’ zärtlicher Slide-Arbeit und den gehauchten Bläsern auch einem intimen Moment der Tedeschi Trucks Band oder sogar den Allmans entsprungen sein könnte: „Hard times ain’t gonna ruin my mind no more“ beschwört Staples in dieser Herrlichkeit zu sanft polternden Drums.

Das wunderschöne ›We Got To Have Peace‹ von Curtis Mayfield schwebt mit seinem federleichtem Arrangement der Akustikgitarren und Mandolinen in einer Art, die auch Bruce Hornsby gefallen würde: Als Sängerin mit Wünschen für eine bessere Welt blüht Staples in diesem von Licht durchfluteten Lied geradezu auf. ›Chicago‹ ist ein Original von Tom Waits (Bad As Me, 2011), das von der Epoche der „Great Migration“ handelt, in der sich zwischen 1919 und 1970 Millionen Schwarze aus dem ländlichen amerikanischen Süden in die Metropolen flüchteten, um Verarmung, Repression und Segregation zu entkommen: Zufällig steht diese nervös brodelnde Country- und Roots-Bluesrock-Nummer nicht an erster Stelle dieses Albums.

Die große Überraschung ist das von Leonard Cohen adaptierte ›Anthem‹, das in gewisser Weise Staples’ Leben zwischen politischem Aufbegehren und tiefem, hoffnungsfrohem Glauben zusammenzufassen und an das gegenwärtige Amerika gerichtet zu sein scheint, das sie ertragen muss: „Läute die Glocken, die noch läuten können“ ist ein Warnruf in aller Bedächtigkeit. Sie werden auch zur Erinnerung daran geläutet, dass sich durch alle Dunkelheit ein Riss zieht, durch den ein Lichtstrahl hereinströmt. Ein stärker berührenderes Roots-Album wird es so schnell schwer geben.

(9/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

ROCKS PRÄSENTIERT

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Cover von ROCKS Nr. 110 (01/2026).