Jeff Beck

24.06.1944 — 10.01.2023

Eric Clapton — Jeff Beck — Jimmy Page. Ohne die Dreifaltigkeit der britischen Gitarrenaristokratie wäre die Geschichte der Rockmusik eine andere. Beck unterschied sich deutlich von den beiden anderen Gentlemen. Am 10. Januar ist der leidenschaftliche Ausprobierer an einer bakteriellen Meningitis verstorben. Er wurde 78 Jahre alt.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: WARNER

Joe Perry von Aersomith würdigte den Briten mit einem Satz, der den Gitarrenkünstler sehr anschaulich illustriert: »Jeff Beck war der Salvador Dali unter den Gitarristen.« Jeff Beck war ein Ton-Freak, dessen emotionaler Ausdruck selbst vermeintlich unspektakuläre Melodieläufe zu etwas Besonderem machte. Vor allem war er jemand, der es genoss, seinem Instrument Sounds abzuringen, die einfach anders waren als die der Kollegen und die sich nicht immer gleich einer Gitarre zuschreiben ließen. Und das mit rein spielerischen Mitteln und bereits in einer Zeit, als Rhythm'n'Blues und Rock'n'Roll in technischer Hinsicht noch vergleichsweise unschuldige Unternehmungen waren.
Schon bei den Yardbirds setzte der am 24. Juni 1944 in Wallington geborene Geoffrey Arnold Beck kontrollierte Feedbacks ein, schaltete Fuzz-Verzerrer vor seine Verstärker und experimentierte mit Hall. Die Saiten schlug er vorzugsweise mit seinem Daumen und den Fingern an und liebte es, seine Tonfolgen mit dem gesamten Vibrato-System seiner Stratocaster expressiv zu erweitern, die er ab Blow By Blow (1975) primär einsetzte und mit der er bis heute assoziiert wird. »Eine Strat fühlt sich für mich überhaupt nicht wie eine Gitarre an«, schwärmte Jeff Beck einmal. »Sie ist wie ein Werkzeug, das gleichzeitig meine Stimme ist.« Über das Hinzuziehen des Vibrato-Hebels ließ er seine Musik in fantasievollen Sprachen sprechen, genauso nutzte er das Druckausüben mit dem Handballen auf Brücke und Saitenreiter für seine Phrasierungen und Klanggebilde — was nachfolgende Helden wie Eddie Van Halen, Joe Satriani oder Steve Vai aufgriffen und ihrerseits weiterverfolgten. Auf der Bühne konnte sein Spiel auch irritierend fahrig wirken. In einer guten Nacht jedoch vermochte Jeff Beck mit geradezu jenseitigen Klängen Tore in eine andere Welt zu öffnen.

Brummen, beißen und singen

Sein Vater Arnold arbeitete als Buchhalter, seine Mutter Ethel stellte Süßwaren her. Als Kind habe sie ihn dazu gezwungen, zwei Stunden am Tag Klavier zu üben, erzählte Beck. Wesentlich interessanter fand er alles, was mit sechs Stahlsaiten zu tun hatte: Er liebte die Musik von Les Paul, Chet Atkins und von B.B. King. Und ganz besonders den mürrischen, harten Rock'n'Roll von Gene Vincent, dessen Leadgitarristen Cliff Gallupp er wegen seiner quecksilbrigen und ungewöhnlich harschen Soli so sehr bewunderte, dass er sich mit 13 Jahren seine erste Gitarre selbst zusammenbaute.

 



Am Wimbledon College of Art verbrachte Jeff Beck die meiste Zeit damit, in Bands zu spielen und anderen bei Plattenaufnahmen zu assistieren: Einer seiner frühen Studio-Jobs resultierte 1962 in ›Dracula's Daughter‹, einer Single von Screaming Lord Sutch. Wirklich auf der Bildfläche erschien Beck jedoch erst 1965, als er Eric Clapton bei den Yardbirds ersetzte und den Brit-Blues der Gruppe um harte Fuzz-Gitarren und aparte Psychedelic-Amouren erweiterte: In ›Heart Full Of Soul‹ ließ er sein Instrument wie eine Sitar zerren (ihre erste gemeinsame Single wurde ein Hit in England und Amerika und stieg auch in Deutschland auf Rang 22 der Hitparade), in ›Shape Of Things‹ ließ er es aus einem geheimnisvollen Hallnebel heraus aufwallen, brummen, beißen und singen — mit Jeff Beck starteten die Yardbirds ins Zeitalter der Rockmusik.

Becks Bolero

Im Mai 1966 nahm Beck mit illustrer Begleitmannschaft Musik für ein Solo-Projekt auf: Mit Jimmy Page als zweitem Gitarristen und John Paul Jones am Bass standen ihm bei dem von Maurice Ravel inspirierten Instrumental ›Beck’s Bolero‹ zwei künftige Mitglieder von Led Zeppelin zur Seite, am Schlagzeug saß Keith Moon von The Who. Veröffentlicht wurden die Einspielungen zunächst nicht. Als Bassist Paul Samwell-Smith die Yardbirds nach Roger The Engineer verließ, sprang Page für ihn ein. In der Heavy-Psych-Nummer ›Happenings Ten Years Time Ago‹ ist er als Bassist zu hören, doch die Single wird ihr erster kolossaler Flopp. Auch filmisch wurde diese flüchtige Yardbirds-Konstellation verewigt. Überaus ikonisch: In Michelangelo Antonionis’ kunstvollem Mystery-Thriller Blow Up (1966) ist ein Auftritt der Band zu sehen, bei dem die Yardbirds ›The Stroll‹ zum Besten geben, eine Adaption der Tiny Bradshaw-Nummer ›Train Kept A-Rollin’‹, an dessen Ende Jeff Beck seine Gitarre zertrümmert. Oder besser: die von Steve Howe, denn das zu Klump geschlagene Instrument war eine Leihgabe des späteren Yes-Musikers.
Simon Napier-Bell, seinerzeit Manager der Yardbirds, erzählte, der Dreh dieser Szene habe Beck wohl erst richtig auf den Geschmack gebracht, auf der Bühne sein Equipment zu zerschlagen. »Als wir in den USA unterwegs waren, bin ich gar nicht mehr aus meinem Hotelzimmer rausgekommen, weil ich halb Amerika abtelefonieren musste, um vorausplanend sicherzustellen, dass bei allen Shows ausreichend viele Marshall-Verstärker zur Verfügung standen. Ich musste sie bestellen und mich um den Transport kümmern. Alles nur, damit Jeff am nächsten Abend wieder seine verdammte Gitarre durch die Lautsprecher rammen konnte. Pete Townsend hat das damals auch gerne gemacht, allerdings war es bei The Who bloß Teil ihrer Show. Bei Jeff nicht. Er war total impulsiv, unberechenbar und launisch.«

Die pinkfarbene Klobrille

Auf der US-Tournee zerbrachen nicht nur Holz und Elektronik, sondern auch das spannungsgeladene Verhältnis zu den übrigen Yardbirds. Während diese mit Jimmy Page als neuem Gitarrist weiterzogen (Little Games, 1967), rettete sich Jeff Beck mit einer Solo-Single vor dem Bankrott, die auf der Rückseite ›Beck’s Bolero‹ vorstellte. Die A-Seite sang er selbst ein — und hegte Jahrzehnte lang eine offene Verachtung für den von dem amerikanischen Songwriter Larry Weiss verfassten Pop-Smasher, der in seiner Fassung prompt zum Hit und Kassenschlager wurde. Für Beck der Inbegriff von »Junk-Musik« und in seiner Karriere eine »pinkfarbene Klobrille um meinen Hals. Dass ›Hi Ho Silver Lining‹ ein Fehler war, wusste ich in dem Augenblick, als ich direkt nach der Aufnahme aus dem Studio raus wollte und der Typ an der Rezeption schon die verdammte Melodie vor sich hin pfiff.«
Gedanklich war Jeff Beck zu diesem Zeitpunkt ganz woanders und tief drin im Heavy-Blues, den er wenig später mit dem auf ›Hi Ho Silver Lining‹ als Chorknabe vertretenen Sänger Rod Stewart sowie Ronnie Wood und Mick Waller auf zwei wegweisenden LPs eindrucksvoll zu Gehör brachte: Truth (1968) und Beck-Ola (1969) weisen die frisch gegründete Jeff Beck Group als die viel zu oft vergessenen Gründerväter des Hardrock aus. 1970 trennten sich ihre Wege: Als Beck bei einem schweren Autounfall verletzt wurde und seine Karriere pausieren musste, schlossen sich Stewart und Wood kurzerhand den Small Faces an, die unter dem verkürzten Namen The Faces in ein neues Leben hineinwankten.
Nach seiner Genesung stellte Beck neue Besetzungen seiner Band zusammen, mit der er seinen Heavy-Rock um Sound- und Stil-Elemente erweiterte, die ihren Ursprung im Soul, Funk und im Jam-Sound solcher Ensembles wie Derek And The Dominos und den Allman Brothers hatten — und zunehmend auch Fusion-Texturen freigaben. 1975 rief Jeff Beck dann ausgerechnet mit Blow By Blow seine Solo-Karriere aus: ein spannendes Instrumental-Werk, auf dem er seine Begeisterung für den Jazzrock von John McLaughlin auf Platten mit Miles Davis und dem Mahavishnu Orchestra auslebte und in ein verwegen groovendes und zugängliches Fusion-Album überführte und nachhaltig Einfluss auf die Evolution des Gitarrenspiels nahm. Die folgenden Jahre über blieb Fusion die von Beck favorisierte Spielwiese für seine Musik.



Größtmöglicher Widerstand

Nach Aufnahmen für Tina Turner (Private Dancer, 1984) zeigte er plötzlich selbst wieder Interesse an der Zusammenarbeit mit Sängern und Liedern mit Breitenwirkung und so verblüffte der Gitarrenkünstler 1985 schließlich selbst mit einer Platte, auf der Achtziger-Synthie-Pop und Nile-Rodgers-Funk den Rahmen für sein Spiel boten: Flash bescherte Jeff Beck viel Aufmerksamkeit, Charts-Erfolg und einen Grammy. Im folgenden Jahrzehnt forcierte der passionierte Oldtimer-Bastler und Hobby-Gärtner seine Session-Arbeit — zu hören ist er mit Beiträgen unter anderem auf Alben von Jon Bon Jovi (Blaze Of Glory), Kate Bush (The Red Shoes), Roger Waters (Amused To Death), Buddy Guy (Damn Right I've Got The Blues), Duff McKagan (Believe In Me), John Mc Laughlin (The Promise) oder auch ZZ Top (XXX).
Auf ein neues Album mussten seine Anhänger bis 1999 warten. Beck blieb eben Beck: ein Musiker, der seine Karriere kompromisslos, aber mit Bedacht dirigierte und der sich frei herausnahm, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wann immer er es für angebracht hielt. Wobei auch Who Else! wieder ganz anders geriet, als es sich die meisten wohl ausgemalt hatten. Es ist das erste von drei Alben, auf denen Jeff Beck — unter anderem begleitet von der mit Michael Jackson bekannt gewordenen Gitarrenvirtuosin Jennifer Batten — mit neuen elektronischen Beats und Drum’n’Bass experimentierte und in Anschlag, Akzentuierung, Phrasierung und Ton ganz er selbst blieb: Man höre nur ›Space For Papa‹ oder den herrlichen Live-Take ›Brush With The Blues‹.
Bis zuletzt blieb Jeff Beck aktiv. Auf Emotion & Commotion (2007) lebte er sich in großformatiger Orchesterinszenierung aus, ehe er 2016 mit einer neuen, jungen Band Loud Hailer auf den Weg brachte: einen fantastischen und zeitrelevanten Hybrid aus Heavy- und Fuzz-Rock, Blues und Funk mit schleppenden Grooves und Elektronik-Sounds. Im vergangenen Jahr erschien in 18 ein gemeinsames Album mit Schauspieler Johnny Depp. Auch auf der jüngsten Ozzy Osbourne-Platte Patient Number 9 (2022) war er mit einem Beitrag zu hören.
Jeff Becks Künstlerweg war stets der des größtmöglichen Widerstandes. Den Zugang zur Riege der Megastars hat er sich damit nicht nur einmal wissentlich selbst verstellt und dem Image des konventionellen Gitarrenhelden nie entsprochen.
 Glücklich schien er ohnehin immer dann zu sein, wenn ihm aufmerksam zugehört wurde. Und so ist Jeff Beck womöglich tatsächlich der große „Gitarristen-Gitarrist“, als der er oftmals beschrieben wird. Das sei großes Glück, findet Steve Vai: »Er hat sich niemals der Selbstverwaltung hingegeben, hat nie aufgehört, sich inspirieren zu lassen oder den Antrieb verloren, Neues erschaffen zu wollen. Das ist alles andere als alltäglich. Dass Jeff Beck im Alter von 78 Jahren spielte, als wäre er gerade in seinen allerbesten Jahren, imponiert mir besonders. Kein anderer Gitarrist hat sich so dramatisch über seine Blütezeit hinaus entwickelt wie er! Jeff Beck war ein einziges Wunder. Für mich ist er „der Auserwählte“, der mit seinen Berührungen der Gitarre unglaublich schöne Klänge entstehen lassen konnte, die in den Herzen der Zuhörer weiterschwingen und berauschen. Ich hatte das Glück, ihn ein paar Mal treffen zu dürfen. Er hatte einen jugendlichen Sinn für Humor. Er liebte es zu lachen. Jeff war 78, aber irgendwie auch 17.«

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Cover von ROCKS Nr. 106 (03/2025).