Auch Mother Love Bone werden heute gerne im Grunge verortet. Dabei stand die Band um Sänger Andrew Wood Sleaze- und Street-Rock (›This Is Shangrila‹) mit zarten Querverweisen auf Led Zeppelin (›Bone China‹, ›Stargazer‹) immer bedeutend näher. Es ist nicht das einzige Missverständnis, das diese wunderbare Gruppe umgibt: Weil Gitarrist Stone Gossard und Bassist Jeff Ament kurze Zeit später gemeinsam als Pearl Jam Musikgeschichte schreiben, müssen Mother Love Bone, die es 1989 auf eine EP (Shine) und im Folgejahr zu einem Album (Apple) bringen, immer wieder als Vorläufer der Seattle-Ikonen herhalten.
Als der charismatische Wood am 19. März 1990 an einer Heroin-Überdosis stirbt, sind seine Freunde am Boden zerstört. Einer davon ist Chris Cornell, der sich mit Wood ein Appartement teilt und selbst als Sänger von Soundgarden kurz vor dem Durchbruch steht, die im vorangegangenen September ihre zweite LP Louder Than Love veröffentlicht hatten.
»An dem Tag, an dem er gestorben ist, bin ich gerade von einer Tournee zurückgekommen«, erinnert sich der Soundgarden-Sänger 2016 im Gespräch mit ROCKS. »Fünf Tage später musste ich weiter nach Europa. Zuerst hielt ich das für gute Fügung, weil ich mich so ablenken konnte und weniger an Andrew erinnert werden würde. Tatsächlich war es aber einfach nur furchtbar, weil ich mit niemandem über seinen Tod reden konnte.«
Der damals 25-Jährige sucht Trost in der Musik — und schreibt die Lieder ›Reach Down‹ und ›Say Hello (2 Heaven)‹. »Diese Songs hätten Andrew sehr gefallen. Zu Soundgarden haben sie allerdings überhaupt nicht gepasst. Ich wollte sie deshalb für eine Single aufnehmen, und zwar am besten mit Stone und Jeff. Allerdings hatte ich ein wenig Sorge, dass sie das Ganze für unpassend und mich für ein völliges Arschloch halten könnten…«
Kommerzielles Kalkül wittert keiner von ihnen: Beide sagen zu. Und auch die übrige Besetzung ihres Tribut-Projekts findet sich rasch: Die Leadgitarre übernimmt Mike McCready, Matt Cameron von Soundgarden kurzerhand das Schlagzeug.
Und so entsteht in den zwei Wochen, die das Ensemble in den London Bridge Studios in Seattle arbeitet, nicht bloß eine kurze Single, sondern ein komplettes Album. Und was für eines: Temple Of The Dog ist mit Songs wie ›Pushing Forward Back‹, ›Say Hello 2 Heaven‹ und ›Times Of Trouble‹ ein ganz enormes Heavy-Rock-Monument mit deutlichem Siebziger-Bezug, dessen stimmungsvolle Songs nicht ohne Grund bis heute immer wieder im Konzertprogramm einer Band wie Gov't Mule auftauchen. ›Hunger Strike‹ etwa, für das der schüchterne und seinerzeit noch völlig unbekannte Eddie Vedder ans Mikrofon gestellt wird.
»Eddie hat uns damals bei einer Probe besucht, weil er gerade nach Seattle gekommen war, um in der neuen Band zu singen, die Jeff, Stone und Mike nebenher zu gründen versucht haben«, erinnert sich der 2017 verstorbene Cornell, wie sich parallel zu den Aufnahmen von Temple Of The Dog eine weitere Gruppe zu formieren beginnt, die schon sehr bald die Rock-Welt auf den Kopf stellen soll: Pearl Jam. »Nach der Probe kam er zu mir und schwärmte von ›Hunger Strike‹. Und dann haben wir daraus einfach ein Duett gemacht. Eddie singt die zweite Strophe und alle tiefen Lagen. Er hat das instinktiv genauso hinbekommen, ich mir das ausgemalt hatte.«
Am 16. April 1991 erscheint das Album mit dieser ersten professionellen Studioaufnahme des Sängers Eddie Vedder. Keine fünf Monate später ist er als Frontmann der neuen Band Pearl Jam schlagartig selbst ein Star, die im August gleich mit ihrer erste LP Ten durch die Decke gehen.
Auch wenn Temple Of The Dog positive Resonanzen einfahren kann: Ein kommerzieller Erfolg ist die Platte zu Beginn nicht. Erst als Ten und das im September erscheinende Soundgarden-Drittwerk Badmotorfinger für Aufsehen sorgen, koppelt ihre Plattenfirma ›Hunger Strike‹ als Single aus: Im September 1992 wird Temple Of The Dog mit Platin überzogen.
Im Laufe der Jahre kommt es zu einer Handvoll Liveauftritte, erst zum 25. Geburtstag des Albums im Jahr 2016 spielt die Band eine US-Tournee — ohne Eddie Vedder.
Einen ausführliches Interview zu Temple Of The Dog findet sich in ROCKS Nr. 55 (06/2016).