In der Band von Tom Petty kam ihm eine besondere Rolle zu — und er war vom ersten Ton an mit dabei. Stan Lynch war das Kraftwerk und der Antriebsmotor der Heartbreakers, der gleichermaßen mühelos in den fünften Gang schalten oder geschmeidig das Tempo aus der Musik herausnehmen konnte, wann immer der Moment es verlangte. Dazu brauchte es nur einen kurzen Augenkontakt oder ein beiläufiges Schulterzucken, schwärmte Petty einst. Doch Erfolg, Drogen und wachsende Egos ließen die beiden Alphatiere immer öfter in Streit geraten, bis Lynch die Band 1994 nach den Wildflowers-Sessions verließ: Als Studiomusiker hatte er zuvor bereits für Aretha Franklin, Stevie Nicks, Roger McGuinn, Jackson Browne oder auch für Bob Dylan gespielt; nun wechselte er konsequent auf die andere Seite des Musikgeschäfts und komponierte Songs für die Byrds, die Eagles, Don Henley, die Hardrocker Tora Tora, Jeff Healey und Eddie Money.
Dass er eines Tages doch wieder sein altes Arbeitsgerät vom Staub der Jahrzehnte befreien würde, hatte der 69-Jährige lange ausgeschlossen. Plötzlich musste er keine zwei Minuten weiter darüber nachdenken. Mit dem texanischen Sänger und Songschreiber Jon Christopher Davis pflegt er eine innige Freundschaft, die weit über kurze Gastauftritte auf dessen Solo-Alben hinausgeht. Nicht zuletzt verbindet beide auch die Liebe zur amerikanischen Roots-Musik, zum Soul und Blues genauso wie zu eben jenem markanten Sound Lynchs früherer Spielgenossen, die beide eine neue Band formieren lässt: The Speaker Wars.
»Eigentlich wollte ich bloß Jons neue Platte produzieren, aber als ich seine neuen Lieder gehört habe, wusste ich, dass da mehr draus werden müsse«, erklärt Lynch enthusiastisch. »Ich fühlte mich in die Zeit von Damn The Torpedoes oder Long After Dark zurückversetzt und konnte mir plötzlich wieder vorstellen, mich wieder in das Abenteuer Rockband zu stürzen. Diese Aufbruchstimmung war wieder da, dieser Drang, selbst wieder Musik zu machen, wieder Schlagzeug zu spielen. Ich würde lieber heute als morgen wieder in den Tourbus steigen.«
Lieder seines früheren Weggefährten stünden da zwangsläufig auf dem Programm und würden stilistisch kaum aus der Reihe fallen. Nicht wenigen Stücken ihres Album-Erstlings lässt sich eine enge Nähe zum Sound des 2017 verstorbenen Heartland-Rockers attestieren — ›You Make Every Lie Come True‹ oder das Southern-eingefärbte ›It Ain’t Easy‹ sind einige davon. Lynch sieht sie als Brücke zwischen dem aus den Sechzigern gespeisten Schnodder-Rock’n’Roll-Debüt Tom Petty & The Heartbreakers (1976) und dem federleichten Klangzauber des Anfang der Neunziger von Jeff Lynne produzierten Into The Great Wide Open, das 1991 zwar als Petty-Solo-Album vorgestellt wurde, tatsächlich aber von den Heartbreakers eingespielt wurde.
»Ich wollte auf unserer Platte diese beiden Gegensätze ein wenig näher zusammenbringen. Bevor ich Jeff kennenlernte, wäre ich nie darauf gekommen, im Studio jedes Instrument einzeln aufzunehmen. Das wäre für mich kein Rock’n’Roll gewesen. Er hat mir gezeigt, welche Möglichkeiten sich daraus erst ergeben, was mich total fasziniert hat. Lieder wie ›When The Moon Cries Wolf‹ besitzen ein raubeiniges Klangbild, während etwa ›Taste Of Heaven‹ sehr samtig klingt. Ich mag gerade das etwas Unvorhersehbare.«
Die Fähigkeit, ein Team-Player zu sein, hatte sich Lynch bei den Heartbreakers beileibe nicht erarbeitet. Am Ende wird er gar als das Element ausgemacht, das mit seinem sturen Wesen die Entwicklung der Band hemmt. Fehler mache in diesem Geschäft wohl jeder zur Genüge, lacht Lynch. Die Kunst bestehe darin, die schlimmsten nicht ein zweites Mal zu begehen. Aber darin war er zeitweise nicht sonderlich erfolgreich. »Wir sind zu Beginn der achtziger Jahre in eine Musikwelt reingerauscht, in der die Egos von Musikern regelrecht explodiert sind. In unserer Heimat wurden wir sogar teilweise ausgelacht. Man muss schon ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln, um in diesem Geschäft zu bestehen.«
Daran mangelt es ihm bereits in jungen Jahren nicht. Nach dem Umzug der Familie von Ohio nach Gainesville in Florida, gerät der Teenager immer wieder in Schlägereien. Seine Freunde raten ihm, lieber ein Schlagzeug zu verprügeln, um seiner Aggressionen Herr zu werden. Lynch träumt von einem Leben als Rockstar und ist wild entschlossen, dem spießigen Landleben zu entfliehen. »Als mein Vater meine Klamotten sah, dachte er, ich wollte mich einem Zirkus anschließen. Aber er hat mir Unterrichtsstunden bezahlt und mir hat es unglaublich viel Spaß gemacht.«
Voller Hoffnung zieht er nach Los Angeles und findet auf der Suche nach Gleichgesinnten Ron Blair, Mike Campbell und Benmont Tench — und einen unbekannten Sänger namens Tom Petty, der die Musiker umgehend zu seiner Begleitband „degradiert“. Tom Petty & The Heartbreakers waren geboren und mit ihnen ein umgänglich gewordener Trommler. »Am Anfang ging es im Proberaum richtig heiß her, aber es gab eine rote Linie. Bei Handgreiflichkeiten wäre ich sofort draußen, das hat mir Tom unmissverständlich zu verstehen gegeben. Mir ist klar geworden, dass ich mich lieber als Musiker verbessern sollte. Ich denke, auf den ersten zwei, drei Platten klingt das Schlagzeug etwas unbeweglich, erst danach habe ich mein Instrument wirklich lieben gelernt.«
Doch mit dem Erfolg treten bei Lynch auch wieder frühere Verhaltensmuster zutage. Die Situation eskaliert, als Petty für sein Solo-Album Full Moon Fever auf die Dienste der Herzensbrecher zurückgreift, am Schlagzeug aber Phil Jones den Vorzug gibt. Aus Rache weigert sich Lynch, Songs des Albums live zu spielen, ein Zerwürfnis, das auch der riesige Erfolg des folgende Hit-Albums Into The Great Wide Open nicht mehr kitten kann. Während der Sessions zu Pettys Alleingang Wildflowers verlässt er die Band. Über die genauen Gründe schweigt er sich aus, auch, weil er mit seinen bald siebzig Jahren keine Lust hat, verpassten Chancen nachzuweinen.
»Es war eben, wie es war. Viel lieber denke ich an eine tolle Zeit, als unser Debüt in Amerika ignoriert, aber in Deutschland und England gefeiert wurde. Man warf uns in einen Topf mit all den Punk- und New-Wave-Bands. Das hat uns amüsiert, denn anscheinend hat keiner gehört, dass wir oft wie die Byrds klangen. Wir sahen eben nicht aus wie alte Hippies, sondern eher wie Surfer von den Stränden Floridas.«
Zumindest auf Lynch trifft dieses Bild im realen Leben zu, hatte der Musiker bis dahin doch nicht viel mehr als Strand und Meer gesehen. Nun trifft er auf die jahrhundertealte europäische Kultur. »Ich war total beeindruckt von den monumentalen Kirchen und den faszinierenden Bauwerken — und dem guten deutschen Bier. Und dann war da diese Show in Ost-Berlin zwei Jahre vor dem Mauerfall zusammen mit Bob Dylan und Roger McGuinn. Ich erinnere mich an eine sehr aufgeladene Atmosphäre. Wir wurden aus dem Auto direkt auf die Bühne eskortiert und durften mit niemandem sprechen. Die Veränderung lag in der Luft und war buchstäblich greifbar, dennoch konnten wir nicht ahnen, dass wir Zeugen der Geschichte sein würden.«