Ian, Du bist nicht der Typ, der sich hinsetzt und einen Text am Stück schreibt. Das muss wachsen — wie die Musik und mit der Musik. Wie gehst du dabei vor?
»Notizen zu machen ist ganz wichtig. Ich habe immer einen Stift dabei, selbst wenn ich schlafe. Das habe ich schon als Schüler so gemacht. Unsere Lehrer haben uns immer ermutigt, ein Notizbuch dabei zu haben, damit wir uns später an unsere Ideen erinnern können. Ich notiere alles, was mich glücklich macht, und alles, was mich nervt. Oder auch interessante Beiträge im Fernsehen, in der Zeitung oder etwas, das ich in Gesprächen aufschnappe. Selbst am Flughafen. Das ist großartig, denn es verleiht den Dingen Farbe.
Dazu gehört auch, dass du aufschreibst, welche Kleidung der Typ trug, mit dem du gerade geredet hast. Dadurch wird das Bild, das du malen willst, erst perfekt. Das kommt aber alles später. Zuerst versuche ich, ein Gefühl für den Song zu bekommen, noch ganz ohne Text. Und dann fällt mir vielleicht eine Phrase ein. Vielleicht ist es nur die Hookline, nicht der ganze Song. Und dann, wenn ich um zwei, drei oder vier Uhr morgens am Ufer des Cumberland River in Nashville sitze, blättere ich in meinen Notizen und singe zu dem Track, den sie tagsüber aufgenommen haben. Dann entwickelt sich etwas. Manchmal geht es aber auch vollkommen daneben.«
Zum Beispiel?
»›Nothing At All‹ habe ich erstmals gehört, als sie in Bottrop an der Idee gearbeitet haben. Ich dachte, das ist unglaublich, das mag ich total. Ich habe mir den Track jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen angehört, das hat mir eine solche Freude bereitet. Unglaublich. Die Musik ist so frech und verführerisch. Also habe ich mich in die Recherche über Leprechauns gestürzt und einen Text über einen Leprechaun (Anm.: ein Kobold aus der irischen Mythologie) geschrieben. Aber dann hatte ich eine andere Idee. Ich habe alles zerrissen und wieder von vorne angefangen. ›Nothing At All‹ handelt jetzt von dem einen wahren Gott: Mutter Natur. Sie ist die alte Lady im Song. Da heißt es dann: Die alte Lady lächelte und dann blies sie alle Blätter von meinem Baum.«
Auch ›The Power Of The Moon‹ scheint durch die Natur inspiriert zu sein. Was verbirgt sich dahinter?
»Ich habe über die Kraft des Mondes nachgedacht und die ganze Debatte über Klimawandel und erneuerbare Energien. Ein wichtiges Thema. Mir scheint, die mächtigste Energiequelle, die wir haben, ist nicht die Sonne, sondern der Mond. Er hat die Kraft, den Meeresspiegel zweimal am Tag steigen zu lassen. Wenn man sich das zunutze machen könnte, statt das halbe Land mit Windrädern vollzustellen und mit Solarzellen! Der Mond, dieses hübsche kleine Ding, das um den Planeten kreist, das ist so einfach und schön.«
Du bleibst meist gerne im Vagen, um Interpretationsspielraum zu lassen.
»Ja, ich liebe das. Ich habe stark ausgeprägte Meinungen zu politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Themen. Mich interessieren unheimlich viele Dinge. Aber wenn ich darüber schreiben will, wenn ich anfange zu predigen und den Leuten meine Meinung aufs Auge drücke, denke ich oft: Mein Gott, ist das langweilig! Ich finde es besser, um mal den Vergleich mit einem Maler zu bemühen, es impressionistisch anzugehen: Benutze Sätze und Wendungen, die den Hörer ins Thema hineinziehen! Vielleicht entdecken sie ja selbst etwas für sich. Ich will den Leuten nicht vorschreiben, was sie zu tun haben. Dieses politische Zeug mit erhobener Faust war nie mein Ding. Ich nenne das, was ich mache, hintergründig. Es gibt sogar drei Ebenen. Das macht beim Schreiben unheimlich viel Spaß. Und, ganz wichtig: Wenn du die Worte nicht verstehst, müssen sie trotzdem gut klingen.«
›What The What‹ gehört in eine andere Kategorie. Das ist ein einfacher Rock’n’Roll-Song mit Kneipenatmosphäre. Was steckt dahinter?
»Ich wollte eine Geschichte erzählen über die Pubs und was mit ihnen passiert ist. Es gibt keine Folkmusik mehr in London, kein Mensch kann mehr Klavier spielen. Es ist unglaublich, dass das alles innerhalb nur einer Generation verschwunden ist. Aber ich wollte nicht, dass es einen negativen Beigeschmack bekommt. Ich wollte erzählen, wie gut es vorher war.«
Und was hat es mit dem Albumtitel Whoosh auf sich?
(Lacht.) »Ich brauche ja wohl nicht zu sagen, dass am Anfang jeder irgendwelche Titel vorgeschlagen hat. Zu der Zeit haben alle über die Erderwärmung geredet. Und ich dachte: Mein Gott, wenn die Menschheit ausgelöscht wird, dann wird die Zeit, in der wir auf diesem Planeten waren, nur ein Wimpernschlag gewesen sein. Wir kamen, wir haben ihn ruiniert, wir sind wieder gegangen. Und das ist eben wie Whoosh! Und auch ein bisschen wie die Karriere von Deep Purple. Es kommt uns wie eine lange Zeit vor, aber es sind ja tatsächlich nur fünfzig Jahre. Einfach Whoosh! Nimm das also bitte nicht ernst! Es ist nur ein hübsches Wort.«
Dieses Interview ist Teil der Deep Purple-Titelstory in ROCKS Nr. 75 (02/2020).