Es war 2003, als Sänger Lou Gramm die Gruppe Foreigner nach 1990 zum zweiten Mal verließ — diesmal für immer. Bassist Bruce Turgon, sein langjähriger Freund und Weggefährte, folgte ihm. Anstatt sich zur Ruhe zu setzen, beschloss Gitarrist und Bandoberhaupt Mick Jones weiterzumachen.
»Ich war unglücklich, wie es mit der Band zu Ende gegangen war. Lou Gramm gab danach Solokonzerte. Ich war jedoch nicht zufrieden damit, wie unsere Lieder dabei präsentiert wurden. Ich wollte allen zeigen, wie Foreigner klingen müssen. Seit fast 35 Jahren ist die Gruppe mein Leben. Ich bin sehr stolz darauf, was wir geschafft haben, und möchte noch einiges erreichen, um irgendwann in Würde abtreten zu können«, erläutert der Mittsechziger mit leiser, bedächtiger Stimme.
Ein Tritt in den Hintern
2004 begann er mit der Generalüberholung seiner Combo, die mittlerweile abgeschlossen scheint. Neben Jones als einzigem Originalmitglied und Kelly Hansen am Mikro sind Gitarrist und Saxophonist Thom Gimbel, Bassist Jeff Pilson (ehemals Dokken), Keyboarder Michael Bluestein sowie Brian Tichy dabei, der schon Ende der Neunziger bei Foreigner spielte und auch für Billy Idol trommelt. Obwohl das Personal in den vergangenen Jahren ständig wechselte und sie zu keiner Sekunde das Flair einer organisch gewachsenen Band verströmt, ist die Rocklegende wieder gesellschaftsfähiger geworden. Sowohl Unusual Heat (1991) mit Interimssänger Johnny Edwards als auch Mr. Moonlight (1994) mit Rückkehrer Lou Gramm schafften es in den USA nicht einmal in die Top 100 der Albumcharts. Can’t Slow Down stieg immerhin auf Platz 29 ein. Auch die Konzerte erfreuen sich wieder größerer Beliebtheit.
»Wenn die Leute hören, wie die alten Lieder in dieser Besetzung klingen, dann sehen sie, dass wir ihnen gerecht werden. So ist es uns gelungen, Respekt und Prestige nach und nach zurückzugewinnen. Gerade Kelly erweckt die Stücke mit seiner Stimme zu neuem Leben«, lobt Jones.
Tatsächlich sollte Hansens Anteil am dritten Frühling von Foreigner nicht unterschätzt werden. Der 48-Jährige, früher Frontmann der L.A.-Band Hurricane (kurzzeitiges Mitglied: Whitesnake-Gitarrist Doug Aldrich), kam über Thom Gimbel mit Jones in Kontakt. Ein glühender Foreigner-Verehrer war Hansen bis dahin jedoch nicht gewesen. »Ich habe sie immer für eine gute Band gehalten, die erstklassige Qualität abliefert. Und meine Einflüsse waren vergleichbar: Blues und Soul. Es ist aber nicht so, dass ich mit dem Album 4 unter dem Kopfkissen geschlafen hätte.«
Vermutlich hielten sich auch deswegen seine Bedenken, in die Fußstapfen eines angesehenen Sängers wie Lou Gramm zu treten, in überschaubaren Grenzen. »Ich war mir der Herausforderung natürlich bewusst, aber ich kann nicht mein Leben damit verbringen, mir Sorgen darüber zu machen, was andere von mir erwarten. Ob es die Fans akzeptieren oder nicht, unterliegt ohnehin nicht unserer Kontrolle. Unser gemeinsames Gefühl war ausschlaggebend.«
Dieses gute Gefühl hat sich nach zahllosen überzeugenden Auftritten nun auch in einer Platte niedergeschlagen. Schon 2007 gab es erste Ankündigungen. Stattdessen erschien im Jahr darauf lediglich die Zusammenstellung No End In Sight mit einem neuen Song (›Too Late‹). Für Jones war jedoch von Anfang an klar, dass ein komplettes Album entstehen wird.
»Als ich mich entschieden habe, die Band neu aufzubauen, ging es nicht nur darum, die alten Hits zu bringen. Wir haben das natürlich eine Weile gemacht, weil wir uns erst Anerkennung erspielen mussten. Schließlich haben wir gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist und dass wir schon vier Jahre zusammen sind. Also sind wir sofort ins Studio. Wir waren uns alle der Wichtigkeit dieser LP bewusst und haben versucht, die Integrität und Identität der Band zu bewahren.«
Zu diesem Zweck wurden Jones und Hansen beim Songwriting unterstützt von Co-Produzent Marti Frederiksen (Aerosmith, Def Leppard, Mötley Crüe). Für den Foreigner-Boss war es nicht die erste Kollaboration mit dem Hitschmied. »Ich kenne Marti schon über zehn Jahre. 1998 wollten wir ein Foreigner-Album mit Lou Gramm aufnehmen. Ich habe sofort einen guten Draht zu ihm gehabt. Wir lagen auf der gleichen Wellenlänge. Leider hatte sich Lou nicht viel aus ihm gemacht«, bedauert er. »Er wollte keine außenstehenden Songschreiber einbeziehen.«
Ein heißer Tag in Brooklyn
Jones und Frederiksen arbeiteten stattdessen bei einigen Liedern für den Film Still Crazy zusammen. In der Folge komponierte das Duo zudem für The Cult (›Breathe‹) und Ozzy Osbourne (die Hitballade ›Dreamer‹). Für Hansen war neben dessen Kreativität noch eine andere Eigenschaft Frederiksens wertvoll bei Can’t Slow Down. »Wir brauchten jemanden, der uns kräftig in den Hintern tritt, damit wir die Platte fertigkriegen. Wir sind viel getourt. Das schlaucht gewaltig. Marti hat uns immer motiviert und daran erinnert, dass wir bis zum Abend dies und das geschafft haben müssen.«
Das Endergebnis sind elf neue Lieder plus das erneut verwendete ›Too Late‹. Während das mit seinen Siebziger-Anklängen auch auf Double Vision hätte stehen können, ist das Gros des Materials in den Achtzigern verwurzelt: ausgereifter, süffiger Melodic-Rock, der manchmal etwas mehr Power hätte vertragen können — der Titelsong zeigt, was in dieser Hinsicht möglich gewesen wäre.
Den Abschluss der Scheibe bildet eine überarbeitete Version von ›Fool For You Anyway‹, einem Stück des Debüts von 1977. Produziert wurde sie von Jones’ Stiefsohn Mark Ronson, der neben seiner Arbeit als Solokünstler und DJ schon Lily Allen, Christina Aguilera oder auch Soul-Skandalnudel Amy Winehouse im Studio betreut hat.
»Es war eine gute Gelegenheit, endlich mal mit Mark gemeinsame Sache zu machen. ›Fool For You Anyway‹ ist einer seiner Favoriten von uns. Ich habe ihm völlig freie Hand gelassen. Mark arbeitet viel mit analogem Equipment. Wir haben die Nummer an einem heißen Tag in Brooklyn eingespielt. Sie hatte schon immer ein dezentes Soul-Feeling, und Mark hat diese Bläser und Backgroundstimmen eingebaut. Jetzt klingt es wie ein Song auf Stax Records von 1969«, verweist Jones auf das legendäre US-Label, das zu den renommiertesten Firmen im Soul und R&B gehört.
In den USA wurde die neue Scheibe bereits ab Oktober über den Supermarktriesen Wal-Mart vertrieben — wie die letzten Alben von Kiss und Journey. Das Gesamtpaket setzt sich dort auch bei Can’t Slow Down aus der aktuellen Platte, einer Greatest-Hits-CD und einer Live-DVD zusammen. Der Unterschied: Während Kiss und Journey ihre bekanntesten Gassenhauer noch mal einspielten, haben Foreigner davon abgesehen und sie lediglich neu abgemischt. Und dass, obwohl auch in ihrem Fall die Mastertapes im Besitz ihrer ehemaligen Plattenfirma sind.
»Unser Manager ist in den letzten Jahren mit verschiedenen Vorschlägen an uns herangetreten, darunter auch Neuaufnahmen alter Hits«, erzählt Hansen. »Ich hätte kein Problem damit, Songs noch mal originalgetreu einzuspielen, damit wir ein Mastertape besitzen und die Stücke für Werbespots oder Filme lizenzieren können. Aber nicht, um sie auf eine Platte zu packen! Sie existieren da doch schon in fantastischen Versionen! Bei ›Fool For You Anyway‹ hat es Sinn. Der Song fühlt sich jetzt ganz anders an. Aber ansonsten halte ich so was für albern und unnötig.«