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Cinderella

Rascher Aufstieg, schneller Fall

Auf ihrem dritten Album graben sich Cinderella durch das Werk der Rolling Stones, lernen effektiveres Arrangieren und komponieren gelassener. Heartbreak Station ist ihr vergessenes Meisterstück zwischen Rhythm’n’Blues, Hardrock, Soul und Country.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Albumcover

Es ist eine Erfolgsgeschichte mit Ansage. Zu ihren frühen Förderern zählt Gene Simmons, dem die Nachwuchscombo aus Philadelphia in den frühen Achtzigern ein paar Demoaufnahmen in die Hand gedrückt hatte. Der Kiss-Bassist bietet seine Hilfe bei der Suche nach einer Plattenfirma an — doch es ist Jon Bon Jovi, der die Karriere von Cinderellas entscheidend ankurbeln wird, indem er zur Zeit von 7800° Fahrenheit seine Plattenfirma auf die Band von Reibeisenröhre Tom Keifer und Bassist Eric Brittingham ansetzt. Wenig später nehmen Mercury Records die Gruppe unter Vertrag, die erst mit Gitarrist Jeff LaBar und Drummer Fred Coury zu einer haltbaren und schlagkräftigen Besetzung findet.

Dass Cinderella zunächst vorschnell in die Hair-Metal-Schublade einsortiert werden, liegt nicht zuletzt an der  Hülle ihres Debüts, von dem sich Dank MTV-Dauerbrennern wie ›Shake Me‹ oder ›Nobody’s Fool,  ›Somebody Save Me‹ und ›Push, Push‹ über drei Millionen Exemplare absetzen lassen. Ein starkes Album ist Night Songs (1986) definitiv — allerdings hat es mehr mit Szene-Formationen wie W.A.S.P., Mötley Crüe und Kix gemein als mit dem, was sich auf den Folgewerken an musikalischer Wurzelkunde abzeichnen soll. Erst ab Long Cold Winter lassen Cinderella immer ungenierter den Rhythm'n'Blues der Rolling Stones und der frühen Aerosmith in ihrem sleazigen  Hardrock durchscheinen, was sie zu einer der herausragenden Formationen der US-Hardrock-Ära macht. 



»Die Unterschiede lagen eher in der Produktion«, meint Keifer. »Wir haben bei den Aufnahmen sorgsam darauf geachtet, den Moment besser einzufangen. Durch die variantenreiche Instrumentierung haben wir den Liedern zudem Farbtupfer hinzugefügt, die auch Night Songs sehr gutgetan hätten. Damals waren wir aber noch zu unerfahren.«

Mit der Musik ändert sich auch die Optik. Farbgewalt und Haarhaubenpracht  löst ein schlichtes Artwork ab, bestehend nur aus Bandlogo und dem Titel auf weißem Untergrund. »Das Cover sollte einfach wie Schnee aussehen, weil die Platte Long Cold Winter heißt«, lacht der Frontmann, der im Studio erleben sollte, dass der Produzent dem Trommler abermals nicht das nötige Vertrauen schenkt. Obwohl Coury mittlerweile seit zwei Jahren zur Besetzung gehört, zieht er lieber Cozy Powell und Denny Carmassi für die Aufnahmen hinzu. »Andy hielt Fred immer noch für zu unerfahren«, erklärt Keifer. »Seiner Meinung nach würde er auf der kommenden Tour die nötige Reife erlangen, um dann auf der nächsten Platte spielen zu können.« Dank der erfolgreichen Singles ›Gypsy Road‹, ›Coming Home‹ und ›Don’t Know What You Got (Til It’s Gone)‹ wird es eine ausufernde Gastspieleise, an deren Ende die Band mehr als 250 Shows absolviert hat. Ein Höhepunkt ist das Moscow Music Peace Festival im August 1989 in Russland, bei dem an zwei Tagen die Rock-Elite mit Ozzy Osbourne, den Scorpions, Mötley Crüe und Bon Jovi auf den Brettern steht.



Wundervolle Erinnerungen verbindet Keifer auch mit seiner Lieblingsplatte Heartbreak Station, auf der er 1990 seine Leidenschaft für Blues- und Southern-Soul- und Country-Klänge und ganz speziell für das Werk der Stones  zwischen Let It Bleed und Exile On Main St. bedingungslos auslebt. Die Aufnahmen finden in fünf verschiedenen Studios statt, um die unterschiedlichen Klangeigenschaften der Räumlichkeiten in den Liedern besser zur Geltung kommen zu lassen. Die achtziger Jahre sind für Cinderella damit endgültig vorbei.

»Mit der Zeit bekommst du ein Gefühl dafür, was für deine Musik am besten funktioniert. Wir wollten weg von den aufgeblasenen, verhallten Achtziger-Produktionen und alles sehr direkt halten, ohne irgendwelche Effekte. Das hat funktioniert, weil wir gelernt hatten, effektiver zu Arrangieren und den Songs eine gewisse Gelassenheit zu lassen. Ich habe mich an alten Platten der Rolling Stones, von Aerosmith und Lynyrd Skynyrd orientiert, mit denen ich aufgewachsen bin und die für mich bis heute ungemein wichtig geblieben sind. 

Wenn ich einen Cinderella-Song nennen müsste, in dem meine Stones-Einflüsse besonders deutlich zu hören sind, wäre das ›Shelter Me‹. Vor allem wegen der Produktion und Instrumentierung dieses Stücks. Es gibt darin einige Elemente, die man auch auf einer Stones-Platte finden könnte, wie das Saxofon oder die Gospelgesänge im Hintergrund. Heartbreak Station ist für mich die ehrlichste und authentischste LP von Cinderella.«



Und sicher auch die ambitionierteste. Neben Gitarre und Klavier steuert Keifer auch Mandoline und Mandocello bei, dazu gibt es Bläser, einen Gastauftritt vom ehemaligen Uriah Heep-Keyboarder Ken Hensley und auf ›Shelter Me‹ sogar einen Gospelchor. Ein Clou gelingt bei den Streicherarrangements von ›Winds Of Change‹ und dem Titelstück, für die kein Geringerer als der einstige Led Zeppelin-Bassist John Paul Jones verantwortlich zeichnet.

»Mit ihm zu arbeiten war etwas ganz Besonderes. Ich wollte schon bei ›Don’t Know What You Got (Til It’s Gone)‹ echte Streicher verwenden, und Andy Johns meinte, dass John dafür der geeignete Mann wäre. Letzten Endes hatten wir aber weder die Zeit noch das nötige Budget. Aber ich behielt seinen Vorschlag im Hinterkopf und unser Produzent John Jansen stellte dann den Kontakt her.«



Mit Liedern wie ›Shelter Me‹, ›The More Things Change‹ oder ›Love’s Got Me Doin’ Time‹ scheinen Cinderella gewappnet für die Herausforderungen des neuen Jahrzehnts. Doch die sich ändernde Musiklandschaft wird zum unerwarteten Stolperstein. Letztlich können sie von der musikalisch ambitionierten Scheibe nur eine Million Einheiten absetzen — kommerziell eine Enttäuschung. Nach der Tour geht zudem Fred Coury von Bord, um mit dem ehemaligen Ratt-Frontmann Stephen Pearcy Arcade zu gründen. Und 1991 beginnt überdies die Leidenszeit von Tom Keifer. Am Ende der Konzertreise zu Heartbreak Station verliert er erstmals seine Stimme, kämpft fortan mit Stimmbandknoten und Blutungen. Ärzte prophezeien ihm, dass er nie wieder würde singen können, doch Keifer gibt nicht auf.

»Ich bin buchstäblich durch die Hölle gegangen. Die einzige Chance war, meine Stimme mit Hilfe von Therapeuten wieder zu trainieren. Es war ein langwieriger Prozess und selbst danach gab es Tage, an denen meine Stimme komplett weg war, und Tage, an denen ich nicht hundert Prozent abrufen konnte.« Mit dem musikalisch brillanten Nachfolger Still Climbing (1994) setzt sich der kommerzielle Sinkflug von Cinderella fort. Nach einem unbefriedigenden Platz 178 in den amerikanischen Charts wird die Truppe von ihrem Label aus allen Verträgen entlassen und begibt sich in einen mehrjährigen Winterschlaf.


Mehr zu Cinderella findet sich in ►ROCKS Nr. 98 (01/2024)

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