Helloween

Der Schlüssel zum Erfolg

Mit einem kecken Doppelschlag setzten Helloween in der zweiten Hälfte der Achtziger neue Maßstäbe im Metal. Das 1988 erschienene Keeper Of The Seven Keys Part II ist in seiner bunten Verrücktheit einzigartig geblieben — und steht Sgt. Pepper’s näher, als man glauben mag. Viel mehr Helloween gibt's im großen Special im neuen ROCKS!

TEXT: MARTIN RÖMPP |FOTO: ROCKS

Als Helloween im März 1988 mit den Aufnahmen des zweiten Teils ihrer ein Jahr zuvor gestarteten Keeper-Saga beginnen, liegen ereignisreiche Monate hinter den Hanseaten. Ihr stürmisches LP-Debüt Walls Of Jericho (1985) hatte der jungen Band einen vielbeachteten und überaus charismatischen Start in die deutsche Metal-Szene ermöglicht — zwei Jahre später nimmt mit Keeper Of The Seven Keys Part I auch das Ausland zunehmend Notiz von der Gruppe, in der mittlerweile Michael Kiske den Gesang übernommen hat: Als Headliner gehen Helloween auf Europatournee, die sie bis in den damaligen Ostblock hinein und schließlich zwei Monate lang durch Nordamerika führt. Dass sich diese Erlebnisse unmittelbar auch auf ihren nächsten Studiogang auswirken, sei unvermeidbar gewesen, so Michael Kiske.



 


»Als ich damals zu Helloween gekommen bin, war das im Grunde eine reine Proberaumgeschichte. Wenn du dann gemeinsam eine Welttournee spielst, wächst du als Band einfach zusammen. Dazu kommt, dass wir damals alle noch über das Privileg der Jugend verfügten. Mit Anfang 20 lernst du als Mensch und Musiker einfach unglaublich schnell. Wir sind viel mutiger geworden, als die zweite Keeper anstand.«
Ein Großteil der Songs ist bereits geschrieben: Von der ursprünglichen Idee, ihre Schlüssel-Geschichte als Doppel-Konzept-Album veröffentlichen zu wollen, war ihre Plattenfirma wenig begeistert und lässt die Lieder auf zwei separate LPs verteilen. Vor allem Michael Weikath bleibt so viel Zeit, seine Songs auszuarbeiten: Während sich auf der ersten LP hauptsächlich Stücke aus der Feder von Kai Hansen befinden, dominieren seine Nummern den zweiten Teil, den sie erneut unter Anleitung von Tommy Hansen und Tommy Newton aufnehmen.



»Walls Of Jericho haben wir seinerzeit noch mit Harris Johns gemacht, der im Speed-Bereich seinen sehr speziellen Sound hatte«, erinnert sich Weikath. »Für die nächste Platte wollten wir dann eher Red, Hot And Heavy von den Pretty Maids als Vorlage nehmen, für die Tommy Hansen verantwortlich war. So wollten wir auch klingen. Weil der aber nicht alleine im Studio arbeiten wollte, hat er Tommy Newton mitgebracht. Die beiden haben total von Mutt Lange als Produzent von Def Leppard und AC/DC geschwärmt. Lange war jemand, der zusammen mit den Bands im Studio gelebt, die Songs mit ihnen erarbeitet und alles bis ins letzte Detail genau vorgeplant hat. Den hatten die beiden Tommys als Vorbild. Gerade für die zweite Keeper wollten sie eine topmoderne Mega-Produktion.«

Obwohl Keeper Of The Seven Keys Part II zu einem enormen Meilenstein des Heavy Metal geworden ist, für dessen Gelingen gemeinhin Michael Weikath geehrt und verantwortlich gemacht wird, hat der Gitarrist allenfalls ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Meisterstreich und denkt gar nicht gern an die von Grabenkämpfen und Verletztheit geprägte Entstehungszeit zurück. Mit dem Endergebnis der LP ist er bis heute nicht zufrieden.

»Mit Tommy Newton musste ich immer wieder rumstreiten, weil er sich geweigert hat, meine Ideen umzusetzen. Für ›Eagle Fly Free‹ wollte ich zum Beispiel einen richtig bombastischen Hollywood-Chor haben, den er für unnütz befand. Als ›Keeper Of The Seven Keys‹ abgemischt wurde, wollte er mich gar nicht erst im Studio haben, weshalb am Ende unser Drummer Ingo im Kontrollraum saß und vor allem darauf geachtet hat, dass seine Snare gut knallt. Newton hat einfach alles stumm geschaltet, worauf er keinen Bock hatte. So ist es auch dazu gekommen, dass er acht Spuren mit Orchesterparts mal eben „vergessen“ hat. Für mich war das Resultat wirklich extrem unbefriedigend. Charlie Bauerfeind hat für das Boxset Treasure Chest einen neuen Mix angefertigt, der den Song dann so präsentiert, wie ich ihn eigentlich erdacht hatte.«




Während der erste Teil noch vergleichsweise dicht an Walls Of Jericho gebaut war, ist Keeper Of The Seven Keys Part II eine gänzlich andere Liga. Live und wie aus dem Amp klingt diese Platte mit all ihren Sounds und Detailideen nicht: Wer sich die Mühe macht, über Kopfhörer einmal ganz genau zuzuhören, wird ein opulentes und durchweg sinfonisch arrangiertes Studiokunstwerk entdecken, das in vielerlei Hinsicht der Mentalität von Sgt. Pepper’s folgt und freilich der von Queen. All dies schlägt sich in der Arrangementkunst und den Stilbrüchen genauso nieder wie in der Architektur der Tonspuren, der furiosen Solo-Jagden, den vielen Harmonie-Parts in variierenden Sounds und einer starken Überzeichnung in den Melodien und den Texten.
Es ist faszinierend zu entschlüsseln, was sich alleine in ›We Got The Right‹ alles im Hintergrund tut mit den zahllosen, regelrecht orchestrierten und im Klangpanorama platzierten Gitarrenspuren. »Als ich den Song in den Proberaum gebracht habe, war er viel zu lang, etliche Parts mussten verkürzt werden oder sind ganz rausgeflogen«, erinnert sich Michael Kiske. »Der Text und die Melodie waren fertig, aber von Kai kamen dann noch diese Gitarren unter den Strophen. Genau das macht eine Band aus: dass sich die Musiker hinsetzen und sich für die einzelnen Instrumente etwas ausdenken. Im Studio hat das noch mal eine andere Dimension angenommen, da ist die Nummer noch gehörig gewachsen. Damals waren Technologie und Spielerei in der richtigen Balance. Heute kannst du jeden Sound und jeden Effekt per Mausklick abrufen, aber damals steckte noch viel kreative Energie dahinter.«



Das gilt auch für ›March Of Time‹ und ›Eagle Fly Free‹, in dem gerade zum Schluss hin völlig überzeichnete Gag-Chöre und Trompeten und verwobene Orchestersounds hörbar sind. Versteckt im Refrain von ›Rise And Fall‹ hupt eine Pump-Orgel mit — und in ›Dr. Stein‹ ein Mix aus Leierkasten, Kirchen- und Kirmeskarussellorgel. Dieser Irrwitz sei vor allem Tommy Hansen zu verdanken, schmunzelt Kiske. »Wir hatten damals einfach eine super Kombination: Die beiden Tommys, von denen jeder seine individuellen Stärken hatte, und der Punkt, an dem wir als Band waren. Das hat einfach geklickt. Tommy Hansen ist ein riesengroßer Beatles-Fan, und ich habe immer an ihm gemocht, dass er keine Scheu hatte, Dinge einfach mal auszuprobieren. Wir waren für alles offen und haben einfach gemacht, was uns in den Sinn kam. Wir haben uns krumm gelacht bei diesen ganzen Backing Vocals, die wir aufgenommen haben, das Rumgekaspere etwa bei ›Rise And Fall‹. Es wurde mit Keyboardsounds und selbstgemachten Samples gearbeitet, viel gebastelt und experimentiert.«
Der durchschlagende Erfolg dieses außergewöhnlichen Metal-Albums weckt Begehrlichkeiten bei den Plattenlabels wie beim Management. »Viele Leute wollten damals ein Stück vom Kuchen abhaben«, so Michael Kiske. »Es wurde ständig an der Band gezerrt und wir letztlich kaputt gemacht.« Noch im selben Jahr bricht die klassische Besetzung auseinander: »Ich konnte Kais Ausstieg nie nachvollziehen. Kai wurde der Floh ins Ohr gesetzt, dass er unbedingt was Eigenes machen müsse. Vielleicht wollte er herausfinden, ob er wirklich alleine Helloween ausmacht — und das war dann wohl doch nicht so. Kai würde das sicher anders erklären, aber ihm fehlt da manchmal die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Er hat in einem Gespräch schon vor Jahren mal zugegeben, dass es eigentlich Blödsinn war, damals auszusteigen. Sein Argument war immer, dass wir zu viel touren müssten und die Band verheizt würde. Wir sind damals vielleicht zwei Monate im Jahr unterwegs gewesen: ach wie schlimm!«, lacht der Sänger.



»Nachher mit Gamma Ray musste er wesentlich härter ranklotzen, um klarzukommen. Ihm ging es gesundheitlich nicht gut, und ich denke, er hat viele negative Gefühle in die Band projiziert. Dabei war eigentlich alles in Butter! Weiki wiederum war in den Achtzigern in einem permanenten Konkurrenzkampf, gerade mit Kai. Er hat auch sehr unter Ingo gelitten, der eigentlich ein super lieber und harmloser Kerl war, aber in manchen Dingen auch etwas plump. Er hat viele Sachen, die Weiki geschrieben hat, erst mal nicht verstanden und sie dann niedergemacht. Wenn du jung bist, bist du halt ungestüm und musst erst lernen, wie du deine Ansichten vertrittst. Ingo und Kai waren beide nicht die Einfühlsamsten, da hat Weiki viel drunter gelitten. Aber er hat es auch immer super ernst genommen und war sehr sensibel. Er hat damals viele Kämpfe ausgefochten, dachte, jeder wolle ihm Böses, und das war auch sehr anstrengend. Heute ist Weiki dagegen absolut pflegeleicht.«

Mehr zu der Enstehung der Keeper- und der anderen bis heute erschienenen Helloween-Alben in unserem XL-Special der aktuellen Ausgabe. Wer wissen möchte, wie repräsentativ die vorab ausgekoppelte Single ›This Is Tokyo‹ für das neue Album Giants & Monsters wirklich ist, sollte zudem ein Äuglein riskieren.

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