Blues Pills

Ein Faustschlag ins Gesicht

Nach langen Geburtswehen erblickt das dritte Album der schwedischen Senkrechtstarter das Licht der Welt. Den psychedelischen Soul-Ansatz des Vorgängers Lady In Gold härten die umbesetzten Blues Pills aus — und begeben sich mit Holy Moly! auf einen ähnlichen Vintage-Rock-Pfad wie zuletzt die Rival Sons.

Über die einschneidende Veränderung informierten die Schweden im November 2018 ganz lapidar auf ihrer Facebookseite: Nach sechs produktiven Jahren hatten sich die Wege der Blues Pills und die ihres Gitarristen Dorian Sorriaux getrennt. Das karge Statement blieb lange Zeit das einzige, was die Öffentlichkeit über den Umbruch in jener Band erfuhr, die spätestens seit dem Erscheinen ihres ersten Albums 2014 als die spektakulärste Neuentdeckung im florierenden Vintage-Rock gefeiert wird.

»Ich möchte eigentlich lieber nicht die ganze Geschichte erzählen«, meint Sängerin Elin Larsson eineinhalb Jahre später, fügt dann aber doch an: »Dorian gehörte bei uns nie zu den Songwritern. Der Sound der Band war also nicht seiner. Er war als Gitarrist außergewöhnlich gut, gerade was seine Fähigkeit zur Improvisation auf der Bühne betrifft. Wir sind auseinandergegangen, weil er sich auf seine Songs konzentrieren wollte, und das konnte er als unser Gitarrist nicht im gewünschten Maß tun. Wir haben versucht, damit so gut wie möglich klarzukommen, aber jeder von uns hatte damals mit so vielen persönlichen Problemen zu kämpfen, dass wir erstmal ein Jahr Pause machten.«

Das Cover-Artwork ihrer dritten Platte Holy Moly! stammt von der ukrainischen Malerin Daria Hlazatova, trägt den Titel „Die Bestie“ — und spricht Bände. »Ich bin ein großer Fan von Darias Kunst, ich habe ziemlich viel von ihren Sachen gekauft«, erklärt Elin Larsson. »Ich sehe auf diesem Bild eine Frau, die den Teufel oder einen Dämon umarmt. Die Stimmung ist dunkel, und das spiegelt sehr gut wieder, wofür unser neues Album steht. Es ist eine Art Autobiografie, es geht um Druck, um seelische Verletzungen, um Wut.«



All das habe auch mit den Begleiterscheinungen des rasanten Aufstiegs ihrer Band zu tun, erzählt Larsson, seit jeher der Dreh- und Angelpunkt der Blues Pills und diejenige, die sich an vorderster Front mit der stetig gewachsenen Erwartungshaltung und den zuletzt kaum mehr vorhandenen Atempausen auseinandersetzen muss. »Das war schon heftig«, reflektiert die Sängerin. »Ich hatte nur wenig Erfahrung und was ich erlebt habe, war ganz und gar nicht so, wie ich es als junge Frau im Musikbusiness erwartet hätte. Ich war viel zu naiv. Und da waren diese Dämonen, die mich herausforderten. Ich bekam Depressionen — und dann wurde mir ADHS diagnostiziert, eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Mir wurde klar, wie gefährlich dieser Job sein kann, wenn du die negativen Einflüsse nicht von dir fernhältst. Ich habe viel dazugelernt. Ich trinke kaum, ich nehme keine Drogen, ich trainiere, konzentriere mich auf die Dinge, die man braucht, um glücklich und stabil zu bleiben.«

Die Umbesetzung ihrer Band und die sich aus ihr ergebenen musikalischen Verschiebungen erwiesen sich als durchaus fruchtbar: Zack Anderson wechselte vom Bass zur Gitarre, als neuer Bassist kam Kristoffer Schander in die Gruppe; der Drive und der spielerische Ansatz sind schon alleine durch die umgeformte Zusammensetzung der Blues Pills stark verändert.

Die großen Arrangements sind klaren Songstrukturen gewichen, denen man anhört, dass Anderson die Rolle der Gitarre in der Band neu definiert hat. »Dorian war ein großartiger Schredder, und das geht auch in Ordnung. Meine Herangehensweise ist eine andere, was auch damit zu tun hat, dass ich lange Bass gespielt habe und die Songs schreibe. Ein Solo muss nicht ausschweifend sein, sondern muss einfach cool klingen.«

Holy Moly! klingt deutlich geradliniger und ist weniger subtil als der Vorgänger Lady In Gold, der die Komponenten Soul und Psychedelic kunstvoll in Einklang brachte, in weiten Teilen aber als technisch aufwendiges Puzzle im Studio entstand, erzählt der frischgebackene Gitarrist. »Als junge Band will man experimentieren und die Möglichkeiten nutzen, die einem ein Studio bietet — dementsprechend viele Tonspuren und Instrumente haben wir für Lady In Gold benutzt und mit ihnen gespielt. Für das Album war es gut so. Manchmal kriegt man sogar einen größeren Sound, wenn insgesamt etwas weniger passiert.



Eine Tugend wie „weniger ist mehr“ haben wir erst mit der Zeit zu schätzen gelernt. Was sich auch geändert hat, ist die Geschwindigkeit, in der neue Lieder entstehen, weil ich einfach das tun kann, was ich mir vorstelle und es nicht erst jemand anderem kommunizieren muss. Die neuen Songs sind bis auf wenige Ausnahmen auf der Gitarre aufgebaut, ganz anders als bei Lady In Gold, wo wir viel mit Orgel, Klavier, Chören und ähnlichem gearbeitet haben. Gleichzeitig sind die Arrangements aber erwachsener und durchdachter. Jede Note sollte diesmal auch wirklich einen Sinn erfüllen.«

»Zack vereint in sich den Gitarristen und den Produzenten, er denkt also schon beim Spielen ganz anders als Dorian«, erklärt Larsson. »Aber ich will das nicht vergleichen. Beide Band-Ausprägungen sind großartig. Auf jeden Fall ist unsere Musik nun viel rauer und heavier geworden und lauter — wie ein Faustschlag ins Gesicht!«

Die naheliegende Diagnose, Holy Moly! klänge wie eine Abkehr von Lady In Gold und wie eine Auffrischung des Sounds der Blues Pills-Debütanten, teilt die Sängerin allerdings nur bedingt. »Es wäre gelogen zu behaupten, dass wir nicht wieder mehr zu unseren Wurzeln zurückkehren wollten. Ich empfinde Holy Moly! aber vielmehr als hybriden Mix unserer ersten beiden Alben. Ich liebe Lady In Gold immer noch. Aber es war schier unmöglich, diese Sachen alle auf der Bühne zu reproduzieren. Daraus haben wir gelernt. Wir sind eben dafür bekannt, eine gute Live-Band zu sein — und genau das wollten wir auf dem neuen Album einfangen.«

Der perfekte Rückzugsort für das Unterfangen lag ganz in der Nähe der Heimatstadt der Blues Pills. Das in der Provinz Närke gelegene Örebro ist mit seinen über 150.000 Einwohnern für schwedische Verhältnisse eine große Stadt, die Umgebung hingegen ist beinahe unberührte Natur. Ein paar Minuten Autofahrt entfernt, konnten die Musiker in ihrem eigenen Studio werkeln: Eingerichtet haben sie es in einer alten Mühle in Lindbacka. »Es liegt direkt am Wasser und es gibt nur einige wenige Häuser in der Nähe. Du fühlst dich dort einfach zu Hause, ganz ohne Druck. Man konnte jederzeit einen Spaziergang machen, Abstand nehmen und sich neue Inspiration holen. Das war sehr komfortabel«, berichtet die Sängerin.



Die Band blieb weitgehend unter sich, fast ein Jahr lang schottete sie sich regelrecht ab. Zu ihrer Neuausrichtung gehörte dabei auch der Verzicht auf einen externen Produzenten: Der wichtigste Mann wurde stattdessen Zack Anderson, den seine Kollegin als wahren Sound-Nerd beschreibt, der ständig über irgendwelche Gerätschaften und technisches Equipment redet; große Teile des Albums wurden ganz traditionell mit Bandmaschinen aufgenommen — über ein altes analoges Mischpult, was dem warmen Klangcharakter von Holy Moly! zugutekam.

Assistiert wurde Anderson bei den Aufnahmen unter anderem von Nicolaus Arson: Dem Gitarristen der schwedischen Garage-Rock’n’Roller The Hives schreibt Elin Larsson die Rolle eines kreativen Mentors zu. Gemischt hat Andrew Scheps, der für so unterschiedliche Künstler wie die Red Hot Chili Peppers, Iggy Pop und Adele arbeitete. Der soulige Vintage-Rock-Sound der Blues Pills ist nun noch ein Stück unmittelbarer geworden. Und das soll sich auch in den Konzerten fortsetzen. Hatte sich das Quartett bei der Tour zu Lady In Gold um Rickard Nygren verstärkt, der die zweite Gitarre und die Orgel spielte, soll es diesmal keine zusätzlichen Musiker geben. »Wir wollen die volle Kontrolle behalten. Wobei wir schon ein bisschen davon träumen, uns für besonders wichtige Konzerte, zusätzliche Musiker oder einen Chor hinzuzuholen. Sofern wir uns das finanziell erlauben können.«

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