Nazareth

Hartholz aus dem Hopfenlager

Mit Hair Of The Dog verschob sich der Sound der schottischen Hardrocker erheblich: Nazareth legten an Härte, Masse und Schwere zu und näherten sich in Lautstärke und Gestus Led Zeppelin. Gleichzeitig landeten sie einen der größten Schmuse-Hits der Geschichte.

TEXT: MARKUS BARO

Um die zwanzig Studio-Alben hat Dan McCafferty mit Nazareth eingespielt, entsprechend schwer fällt es der ehemaligen Frontröhre, einen eindeutigen Favoriten zu benennen. Sie seien wie Kinder, man habe sie alle lieb, auch wenn einem einige nicht so große Freude bereiteten, schmunzelt der passionierte Whiskytrinker, der Hair Of The Dog immerhin als ihren großen Befreiungsschlag heraushebt. »Es war ein Album, das viele Leute glücklich gemacht hat: Manager, Fans, die Plattenfirma — und nicht zuletzt unsere Banker.«

1968 kündigen McCafferty, Gitarrist Manuel „Manny“ Charlton, Bassist Pete Agnew und Schlagzeuger Darrell Sweet ihre gutbezahlten Jobs im schottischen Dunfermline und hoffen auf den großen Durchbruch als Rockband in London. Ihr Debüt Nazareth floppt 1970 fast überall, nur in Deutschland wird die gelungene Coverversion von ›Morning Dew‹, einer postapokalyptischen Folk-Nummer des Kanadiers Bonnie Dobson, für die sich US-Sänger Tim Rose eine Nennung als Co-Autor erschlichen hat, zum Hit.



Kaum noch Interessenten findet hierzulande dann aber das von Roy Thomas Baker überladen produzierte Zweitwerk Exercises. Den funkensprühenden Nachfolgern Razamanaz und Loud ‚N‘ Proud schließlich ermöglichte Deep Purple-Bassist Roger Glover als Produzent ein erheblich härteres Klangbild, was in einem ersten internationalen Erfolg mit ›This Flight Tonight‹ resultiert: Einer enorm schmissigen Hardrock-Fassung des einstigen ein Folk-Songs von Joni Mitchell.

Nach dem leichtgewichtigen Rampant sucht die Kapelle für ihre sechste LP dann den Neustart, erinnert sich McCafferty. »Wir wollten irgendetwas verändern, hatten aber keine Ahnung, was genau. Wie man bei fünfhundert Shows und vier Platten die Muße zu sowas hat, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Jedenfalls haben wir dann die Zusammenarbeit mit Roger Glover beendet, weil wir andere Vorstellungen von unserem künftigen Sound hatten. Ich glaube, man muss es so formulieren: Er hatte einen Plan — wir nicht.«



Manny Charlton drängt auf den Produzentenstuhl. Der kürzlich im Alter von 80 Jahren verstorbene Musiker erprobt seine Fähigkeiten mit dem Everly Brothers-Goldie ›Love Hurts‹, der zunächst ins Archiv wandert. Denn in den Escape Studios von Kent, einer umgebauten Lagerhalle, die zuvor zum Trocknen von Hopfen für die Bierherstellung diente, geht es mittlerweile deutlich härter zur Sache. Und trotz sehr einfacher technischer Aufnahmebedingungen und eines geradezu lächerlich knauserigen Produktions-Budgets kann sich Hair Of The Dog mit teureren Produktionen jener Zeit durchaus messen.

Die vorläufige Idee, die Wucht von Led Zeppelin mit der swingenden Leichtigkeit von Little Feat zu kombinieren (von denen Nazareth zuvor auf auf Loud ‚N‘ Proud bereits ›Teenage Nervous Breakdown‹ adaptierten), verrät nur das hauchzarte ›Rose In The Heather‹. Ansonsten regiert überraschend harter Heavy Rock: Mächtige Gitarrenriffs und McCaffertys aggressiv kreischender Gesang fräsen sich durch ›Changing Times‹, ›Miss Misery‹ oder das kaum noch als Nils Lofgren-Komposition zu identifizierende ›Beggar’s Day‹; das zähflüssige, fast zehnminütige Epos ›Please Don’t Judas Me‹ klingt, als experimentierten Pink Floyd mit schmerzhaft verzerrten Gitarren.



Und dann ist da noch ›Love Hurts‹, das niemand auf der LP vermutet hätte und das europäische Käufer seinerzeit auch vergeblich auf ihr suchten. Das nur als B-Seite gedachte Stück war längst in Vergessenheit geraten, erinnert sich der Sänger im Ruhestand lachend.

»Ursprünglich hatten wir geplant, unsere Version von Randy Newmans ›Guilty‹ als Single rauszubringen, weil wir große Fans von ihm waren. Aber Jerry Moss, der Präsident unseres amerikanischen Labels, hörte zufällig ›Love Hurts‹ und war total aus dem Häuschen. Er bestand darauf, den Song auf die amerikanische Version der Platte zu packen — und bald wurde das Lied überall auf der Welt zum großen Hit. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Danke Jerry!«

Denn es ist tatsächlich der monumentalen Power-Ballade zu verdanken, dass sich ihr sechstes Album über zwei Millionen Mal in den Vereinigten Staaten verkauft, was Manny Charlton zu der nicht ganz ernstgemeinten Feststellung verleitete, Hair Of The Dog sei die wohl »erfolgreichste Acht-Spur-Aufnahme aller Zeiten«.



Ein Erfolg, an den weder das experimentelle Close Enough For Rock ’N‘ Roll (1976), noch das AOR-lastige und im selben Jahr erschienene Play’N‘ The Game heranreichen können. Expect No Mercy (1977) und No Mean City (1979) markieren ihre vorläufig letzten Abstecher in pure Hardrock-Gefilde.

Auch wenn sich der ganz große Erfolg für die Schotten nur noch sporadisch einstellen sollte, das Schicksal meinte es gut mit Nazareth. Als sie 1977 zusammen mit Lynyrd Skynyrd auf Tour gingen, lehnten sie das Angebot der Südstaaten-Rocker ab, sie im gecharterten Flugzeug von South Carolina nach Baton Rouge zu begleiten. Es war jener Flug, der unweit des Städtchens Gillsburg und nur fünfzig Kilometer von der Landebahn entfernt in den Sümpfen von Mississippi tragisch endete…


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Cover von ROCKS Nr. 99 (02/2024).