Nazareth

Straßenköter ohne Schnörkel

Am wohl ungemütlichsten Herbsttag des Jahres scheint kaum etwas geeignet, jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken, der Auftritt der schottischen Hardrock-Haudegen ist dennoch gut besucht.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Marc Marnie

Ihre Live-Qualitäten haben sich Nazareth in langen Jahren auf der Straße hart erarbeitet, zudem decken die Veteranen unter Führung des einzig verbliebenen Originalmitglieds Pete Agnew (Bass) gut ein halbes Jahrhundert Rock-Geschichte ab.

Auf Schnörkel verzichten sie, ihr breit angelegtes Best-of-Programm kommt mit ›Turn On Your Receiver‹, ›This Flight Tonight‹ oder ›Dream On‹ sofort auf den Punkt. Um Diversität ist das Quartett hingegen schon seit seinen frühesten Tagen bemüht. Der psychedelische Pop-Hit ›My White Bicycle‹ (im Original von den englischen Rockern Tomorrow um Yes-Gitarrist Steve Howe) kuschelt sich direkt an die zentnerschwere, beinahe schon metallische Breitseite des 1975 erschienenen Albums Hair Of The Dog.

Die besteht neben dem Titelsong aus ›Miss Misery‹ und ›Changin’ Times‹, in dessen erweitertem Solo sich Gitarrist Jimmy Murrison als Ökonom der Truppe erweist. Mit seiner sparsamen und doch kraftstrotzenden Spielweise transportiert er den Charakter des Nazareth-Sounds perfekt in die Neuzeit. Kaum aufwendiger agiert Trommler Lee Agnew, der stoisch die Zügel festhält und sie nur im urwüchsigen ›Morning Dew‹-Jam ein wenig locker und Papa Pete mit einer leicht funky Bass-Einleitung glänzen lässt.

Der frühere Persian Risk-Frontmann Carl Sentance dagegen versucht erst gar nicht, Gesangslegende Dan McCafferty zu kopieren. Er hat seinen eigenen Ausdruck gefunden und bringt selbst beim unverwüstlichen Schmuse-Hit ›Love Hurts‹ eine individuelle Note ein. Dass er den Tod des ehemaligen Sängers aber nicht einmal erwähnt, ist allerdings traurig.

Ein Freund großer Worte ist Sentance aber eh nicht. Sehr stolz seien sie auf ihr aktuelles Epos Surviving The Law, erfahren die Besucher nebenbei, mehr als zwei Songs davon bringen sie dennoch nicht zu Gehör. Überhaupt hat sich die Setliste in den vergangenen Jahren nur punktuell geändert, statt des verzichtbaren ›Love Leads To Madness‹ gibt es heute etwa den Rampant-Klassiker ›Sunshine‹. Wie schon 2019 beendet das fidele ›Go Down Fighting‹ einen soliden Auftritt.


Dieser Text stammt aus ROCKS Nr. 93 (02/2023).

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