»Die Ramones sind schuld, dass es D-A-D gibt«, schmunzelt Binzer. »Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als mir das Doppelalbum It’s Alive in die Hände gefallen ist. Mein Bruder Jacob und ich haben uns tagelang in meinem Zimmer eingebunkert und die Scheibe wieder und wieder abgespielt. Dann sind wir in unseren Proberaum und haben eigene Songs geschrieben, die sich völlig scheiße anhörten. A er darum ging es gar nicht. It’s Alive hat damals unser Bedürfnis geweckt, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Die Platte signalisierte: Auch Du kannst es schaffen!«
Dabei ließen sich die Brüder auch nicht von der vermeintlichen Simplizität der zweiminütigen Kracher blenden. Es war klar, dass ein hohes Maß an Disziplin erforderlich sein musste, Songs auf das Notwendigste reduziert zu belassen, ohne der Versuchung zu erliegen, Soli, Intros oder andere Gimmicks einzubauen. Und das über einen Zeitraum von etlichen Jahren. Zweiundzwanzig genaugenommen.
»Das ist tatsächlich eine hohe Kunst. Die Songs der Ramones wirken dahingerotzt, fast dilettantisch. Aber unter der Oberfläche gibt es richtig viel zu entdecken. Zum einen natürlich diesen unwiderstehlichen Pop-Appeal durch rudimentäre Melodien, die man einfach nicht aus dem Kopf bekommt. Die Ramones hatten einen großen Einfluss auf die Musikszene. Sie haben nicht nur einen beachtlichen Pop-Aspekt, sondern auch erstmals Metal-Strukturen in die Rockmusik gebracht. Hör dir nur mal ›Loudmouth‹ an, das sind definitiv Komponenten, die man im Metal später wiedergefunden hat.«
Die harte Gilde der Rocker beruft sich immer gerne auf die New Yorker Underdogs, meist jedoch ohne das Flair der Originale zu erreichen. Metallica packten so manches Ramones-Cover auf ihre B-Seiten; schon früh tourten Rammstein mit ihren Idolen und fügten in Joeys Todesjahr ›Pet Sematary‹ ihrer Setliste hinzu. ›Havana Affair wurde von den Red Hot Chili Peppers in ein smartes Funk-Gewand gekleidet, während Motörhead auf ihrem Album 1916 mit ›R.A.M.O.N.E.S.‹ Joey & Co ihre Referenz erwiesen. Songs wie ›The KKK Took My Baby Away‹, ›Chinese Rocks‹ oder ›Psycho Therapy‹ hatten nicht nur geniale Hooks, sondern auch extrem trockenen Humor. Aber die reale Welt sah anders aus.
»Dass drei Originalmitglieder innerhalb von drei Jahren verstarben, ist schon tragisch. Es war schade, dass sie in der Heimat nie den großen Durchbruch erreichen konnten. Traurig finde ich auch, dass Joey und Gitarrist Johnny fünfzehn Jahre lang kein Wort miteinander gesprochen und sich auch vor ihrem Tod nicht mehr versöhnt haben. Johnny hatte Joey die Frau ausgespannt, zudem hatten sie politisch sehr gegensätzliche Ansichten: Joey war eher liberal, Johnny ein Bush-Anhänger. Die Kluft war anscheinend unüberwindbar. Eigentlich unvorstellbar, aber die Ramones waren eine Band, die absolut nicht funktioniert hat. Und dann war da noch Joeys Soloalbum, das ein Jahr nach seinem Tod erschien. Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und hat dennoch positive Songs wie ›Don’t Worry About Me‹ geschrieben und auch ein Cover von Louis Armstrongs Hit ›What A Wonderful World‹ aufgenommen. Er ließ sich von seiner Krankheit nicht unterkriegen, davon handelt ›I Got Knocked Down (But I’ll Get Up)‹.«
Geblieben sind eine Handvoll großartiger Alben, von denen Jesper Binzer »immer wieder gerne zu It’s Alive oder dem großartigen Debüt mit ›Sheena Is A Punkrocker‹« greift, sowie die Erinnerung an energiegeladene Konzerte.
»Auf einer ihrer Shows in Kopenhagen bin ich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig ausgerastet. Ich habe vom ersten bis zum letzte Ton gebangt wie ein Irrer. Mann, war das geil!«