Vain

Spontane Ausraster

Wie zeitlos und klischeefrei Sleaze sein kann, haben der barfüßige Paradiesvogel Davy Vain und seine Band in den 28 Jahren nach dem Erscheinen des Debüt-Klassikers No Respect immer wieder neu bewiesen.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Dirk Behlau

Integrität war Davy Vain stets ein hohes Gut. In den späten Achtzigern versprachen ihm diverse Manager einen Batzen Geld, wenn er denn dazu bereit wäre, seinen sehr eigensinnigen Street-Rock nach Art von Warrant oder Poison zu polieren.

»Wir wollten aber nie die zweiten Def Leppard sein, sondern immer nur die einzigen Vain«, lacht der unbeugsame Sänger Aus San Francisco, dessen Stimme bis heute wie eine leicht schrullige Mischung aus Andrew Wood (Mother Love Bone) und Lizzy Borden anmutet.

No Respect heißt ihr 1989 erschienener Erstling, dessen rotziger Drive einmalig geblieben ist. Produziert wird die Scheibe seinerzeit von Paul Northfield, der zuvor mit Rush und Queensrÿche gearbeitet hatte. »Ich habe ihn angebettelt, uns ja keinen typischen Achtziger-Drumsound zu verpassen. Er hat dann zum Aufwärmen die Sex Pistols aufgelegt und gesagt, ich solle mich mal entspannen.«

Es folgte eine Phase, die der Sänger heute als »langen, langsamen Abstieg« bezeichnet. Gut waren alle ihre Alben, aber erst mit dem starken Enough Rope kamen Vain 2011 wieder vollends in die Spur. Auch auf ihrer jüngsten LP Rolling With The Punches hat sich die Gruppe Kanten und Marotten bewahrt — und dazu einen grundsätzlichen Produktionssound, der weit weg vom sterilen Stangen-Sound unserer Zeit Luft zum Atmen lässt.



Zudem sind ihnen diesmal noch bessere Songs geglückt: Ihr sechstes Album verweist auf ihr legendäres Debüt und noch deutlicher auf das 1991 aufgenommene, aber erst 2010 offiziell veröffentlichte Zweitwerk All Those Strangers, das jeden Anhänger von Mother Love Bone glücklich machen sollte.

Das liegt neben dem hymnischen Titelsong auch an einigen wiederentdeckten alten Stücken. »Bei ›Long Gone‹ habe ich mich gefragt, wie um alles in der Welt das damals liegen bleiben konnte«, sagt Davy Vain über das Lied, das sich in der Gitarrenarbeit ein wenig an Ratt anlehnt. »Und ›Sacrifice‹ stammt aus der Zeit, als ich mit Steven Adler Road Crew gegründet habe.« Quasi als Beweis gibt es darin eine Studio-Konversation aus den frühen Neunzigern zwischen dem ehemaligen Guns N’ Roses-Trommler und Davy Vain zu hören.

Allgemein wurde bei Rolling With The Punches aber Spontanität großgeschrieben. »›Bury Some Pain‹ habe ich meiner Band nachmittags kurz vorgestellt. Am Abend haben wir es dann eingespielt — ohne ein einziges Mal geprobt zu haben!« Leider würden die meisten Bands ihre Unbekümmertheit irgendwann verlieren. High Voltage von AC/DC sei in dieser Hinsicht eine seiner absoluten Lieblingsscheiben. »Viele große Rockklassiker sind bis zum Exzess analysiert worden. Über High Voltage musst du nichts wissen. Du musst nur zuhören und dann ausrasten.«


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