In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bringt das Mississippi-Delta verlässlich drei Dinge hervor: Baumwolle, Armut und Leid derer, die sie pflücken, und Blues. So auch in der nahe Indianola gelegenen Ortschaft Itta Bena, wo Riley King am 16. September 1925 zur Welt kommt. Als er vier Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern, und er zieht mit seiner Mutter zu den Großeltern auf eine Plantage in Kilmichael. Bereits als Siebenjähriger schuftet er dort als Landarbeiter; in den Monaten zwischen Aussaat und Ernte marschiert er über fünf Meilen in den nächsten Ort, wo er mit sechzig Kameraden unterschiedlichen Alters die Schulbank drückt.
King ist keine zehn Jahre jung, als er kurz hintereinander Mutter und Großmutter verliert. Der stotternde und wenig kontaktfreudige Junge weigert sich, zu seiner Tante zu ziehen und verarbeitet seine Trauer in der Einsamkeit: Er bleibt alleine in der Hütte seiner Mutter wohnen und ist gezwungen, schnell erwachsen zu werden.
Kontakt zur Tante hält er dennoch. Sie besitzt einen seltenen Phonographen und spielt ihm Platten von Lonnie Johnson, Blind Lemon Jefferson und Mississippi John Hurt vor — Kings erste prägende Berührung mit dem Blues. Er lernt das Gitarrespielen und singt im Kirchenchor, heiratet mit 17 und steigt beruflich später zum Traktorfahrer auf. An den Wochenenden spielt er in der nächsten Stadt als Straßenmusiker Spirituals; Geld verdient er damit erst, als er auf Blueslieder umsteigt.
1948 verlässt er die Plantage und zieht nach Memphis, wo sich Bukka White, der Cousin seiner Mutter, bereits einen Namen als Blueser gemacht hat. King tingelt durch Bars und arbeitet als Moderator und DJ für den schwarzen Radiosender WDIA unter dem Künstlernamen Beale Street Blues Boy, der später zu Blues Boy und schließlich zu B.B. verkürzt wird.
Die Musikvielfalt von Memphis fasziniert ihn. Er ist zunehmend angetan vom Jazz und spielt mit größeren Begleitbands. 1949 nimmt er seine ersten Stücke für das kleine Label Bullet auf; in den frühen Fünfzigern wird King dann von den Bihari Brothers für deren Firma Modern Music auf dem Unterlabel RPM (später Kent) unter Vertrag genommen. Stattliche 41 Singles veröffentlicht B.B. King zwischen 1951 und 1957. Die meisten davon werden über das eigens dafür gegründete Billig-Label Crown Records auf Langspielplatten zusammengefasst: Zwölf davon kommen alleine zwischen 1957 und 1963 auf den Markt — für den Preis von jeweils nur 99 Cent. Geld sollten weiterhin die gewichtigeren Single-Veröffentlichungen einbringen, für die sich King ein ums andere Mal dem musikalischen Zeitgeist anpasst.
Auch wenn King wegen der aus dem Niedrigpreis der LPs resultierenden Mini-Tantiemen und der Nichtbeachtung in den Verkaufscharts mit dem Label auf Kriegsfuß stand und erleichtert durchatmete, als er 1964 endlich einen neuen Vertrag bei einer anderen Plattenfirma bekam: Crown Records haben erheblich dazu beigetragen, dass sich Blues allgemein und der Name B.B. King im Speziellen auch in der weißen Bevölkerung alsbald herumsprachen — auch in Europa.
In den Folgejahren gelang ihm ein kometenhafter Aufstieg zu einem der größten Musikphänomene unserer Zeit. Kein zweiter Bluesgitarrist hat es geschafft, so sehr mit der amerikanischen Unterhaltungskultur zu verschmelzen und trotzdem als Blueser integer zu bleiben wie Riley King. Seine Lieder klingen bis heute gerade deshalb so erschütternd, weil er in ihnen immer auch von sich selbst gesungen hat. Von den großen Gefühlen: von Verletzung und Verlust, von Trost, Not und Verzweiflung. Und auch von Sex — und überhaupt vom Spaß im Leben.
Auch sein Einfluss auf die moderne E-Gitarre ist gigantisch; Kings ökonomisches Spiel, sein einmalig singender Ton, sein Vibrato und sein Saitendehnen sind genauso legendär wie die expressiven Dialoge mit seiner liebevoll Lucille getauften Gitarre.
Er selbst blieb diesbezüglich immer bescheiden: »Seien wir ehrlich: Für das, was ich kann, habe ich hart üben müssen. Ich habe meine Grenzen und kenne sie sehr gut«, wies er allzu grüne Lorbeeren stets zurück. »Ich frage mich häufig selber, wo ich gerade gewesen bin, als das Talent verteilt wurde. Auf keinem Fall am gleichen Ort wie George Benson, Kenny Burrell, Barney Kessel, T-Bone Walker oder Eric Clapton. Ich lerne heute noch täglich dazu. Ich lerne und staune.«
Bis ins hohe Alter ist B.B. King auf Tournee gegangen und hat mit seinem elegant swingenden Big-Band- oder „Showbiz-Blues“ (wie Peter Green gerne frotzelte) die Massen bewegt. Die Intensität seiner Konzerte mag im vergangenen Jahrzehnt eine gänzlich andere gewesen sein als 1964, als der Klassiker Live At The Regal entstand. Und doch ist es bis zuletzt einfach anrührend geblieben, den Elder Statesman des Blues mit über achtzig Jahren auf seinem Klappstuhl sitztanzen zu sehen und von ihm und dem Gesang seiner Lucille um den Finger gewickelt zu werden.
Im Studio hat B.B. King zuletzt fünf Jahre vor seinem Tod mit seinem Freund Buddy Guy aufgenommen: ›Stay Around A Little Longer‹ (Living Proof, 2010), ein bewegendes Zwiegespräch mit der heute 83-jährigen Chicago-Blues-Legende, in dem er zurückgelehnt und hörbar zufrieden die Textzeilen „I thank the Lord for letting me stay around a little longer / Feel like I got a lot more to give / Thank you Lord, I love the live I lived“ mit Demut und Leben füllt.
Zuletzt lebte B.B. King in Las Vegas, wo er am 14. Mai 2015 verstarb.
► Einen Leitfaden zum Werk von B.B. King gibt's in ROCKS Nr. 47 (04/2015)