Dass Geddy Lee als Gershon Eliezer Weinrib — benannt nach seinem im Holocaust ermordeten Großvater — auf die Welt kam, dürfte zumindest eingefleischten Rush-Fans bekannt sein. Was dieser Hintergrund für seine Lebensgeschichte bedeutet, erzählt der kanadische Musiker umfassend in dieser lesenswerten Autobiografie.
»Ich habe das Gefühl, wir leben in einer Zeit, die offenbar vergessen hat, was passieren kann und auch wird, wenn der Faschismus sein Haupt erhebt«, schreibt er zu dem Kapitel über die Geschichte seiner aus Polen stammenden jüdischen Familie. Berührend ist vor allem die seiner Eltern, die getrennt mehrere KZs überlebten und schließlich 1946 im befreiten Bergen-Belsen heirateten, bevor sie nach Kanada emigrierten.
Danach erst beginnen seine Ausführungen über die Erfolgsgeschichte seiner Band Rush, die auf vielen Umwegen zu ihrer ersten Besetzung fand und deren Anfänge sich zunächst im relativ engen geografischen Rahmen in und um Toronto abspielten. Hier haben sich Rush 1968 gefunden — im Sog ihrer geteilten Faszination für Cream, Jimi Hendrix und Led Zeppelin, die allesamt Spuren in der Musik des Power-Trios hinterlassen, dem neben Gitarrist Alex Lifeson und dem singenden Bassisten Geddy Lee zunächst noch Schlagzeuger John Rutsey angehörten.
Von ihren späteren Markenzeichen ist 1973 auf ihrem ersten Album noch wenig zu hören, und doch wusste bereits der Album-Erstling Rush durchaus zu gefallen als ein Album, das sich grob zwischen klassischem Hardrock und frühem Heavy Metal verorten lässt — ein stark an Led Zeppelin geschulter Sound, wie er seinerzeit oftmals aus Amerika und Kanada zu hören war.
Dann trennte sich die Gruppe von ihrem Drummer, als Ersatz folgte Neil Peart, der fortan auch die Rolle des Texters übernahm; von ihm umgeben ließ der Dreier Neues entstehen, das Tore aufstieß zu einem frischen Selbstverständnis komplexer Instrumentalarrangements. Das sind in den Ausführungen zum Teil erwartbare Anekdoten, aber Lee erzählt sie so persönlich und plastisch, als säße man mit ihm bei einem guten Wein zusammen.
Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er jemandem verbal den Stinkefinger zeigt (etwa dem Konzertpromoter Billy Graham), aber er ist auch voll Empathie für Freunde und Kollegen. Insbesondere für seine jahrzehntelangen Partner Neil Peart und Alex Lifeson, deren Persönlichkeiten sich aus der Perspektive des Bassisten wie ein Puzzle zu einfühlsamen Charakterstudien zusammenfügen.
Selbst für Rush-Nerds möglicherweise überraschend kommt der Einblick in eine zeitweise bestehende Neigung zu exzessivem Kokain-Gebrauch. Hatten wir nicht alle Rush angesichts der Präzision ihrer Musik für eine vollkommen cleane Band gehalten? Die Unsicherheit des Kontrollfreaks beim Abmischen fertiger Aufnahmen thematisiert er ebenso wie Ehekrisen durch die ständige Abwesenheit als Familienvater — und die daraus resultierenden Selbstvorwürfe.
Und am Ende dieser sehr intelligenten und reflektierten Autobiografie merkt man, dass es den Mann in den Fingern juckt, wieder auf Tour gehen zu können. Auch wenn er das nicht explizit formuliert.