Ihre Geschichte beginnt 1972, als die 22-jährige Ann Wilson in die Band Hocus Pocus einsteigt. Deren Gitarrist Roger Fisher ist schon seit über zehn Jahren in der Musikszene von Seattle aktiv. Fishers Bruder Mike lernt die Sängerin bei einem ihrer Auftritte kennen und lieben. Als Deserteur der Armee ist er nach Kanada geflohen, Ann folgt ihm nach Vancouver. Die Band zieht notgedrungen hinterher.
1974 stößt Anns vier Jahre jüngere Schwester Nancy dazu. Sie hat Erfahrung als Folk-Sängerin, spielt Gitarre, Mandoline und Klavier — und beginnt eine Liaison mit Roger Fisher. Mittlerweile nennt sich die Band Heart. Recht bald spielen sie bei ihren eigenen Konzerten Coverversionen von Led Zeppelin, was ihnen den wohlwollenden Spitznamen Little Led Zeppelin einbringt.
Die Begeisterung der Schwestern für den britischen Bleizeppelin haben sie nie versteckt. Und sie hält bis in die Gegenwart an: Als Led Zeppelin im Dezember 2012 in Washington für ihre Verdienste um die amerikanische Kultur geehrt werden, verneigen sich die mit Schlagzeuger Jason Bonham (und einem sich plötzlich einklinkenden Gospelchor) erweiterten Musiker vor der Legende, deren drei noch lebende Mitglieder im Publikum sitzen. Zehn Jahre ist das nun bereits her — aber ihre Darbietung von ›Stairway To Heaven‹ geht noch immer tief unter die Haut.
Die Frage, ob sie sich Jimmy Page für eine Reunion-Tournee anschließen würde, solange sich Plant weiterhin so beharrlich verweigert, hat Ann Wilson schon öfter gehört. Darauf zu antworten, macht ihr aber hörbar Vergnügen. Page habe sie noch nicht angerufen. Aber: »Wenn sie mich fragen würden, ob ich eine Zeit lang für Led Zeppelin singen würde, dann wäre ich ihr Mann«, schlägt sie sich begeistert auf die Knie.
Ihr erstes Album Dreamboat Annie erscheint 1976 und wird ein voller Erfolg, obwohl sich die Gruppe darauf mit ihrer Verschmelzung von Heavy Rock und Folk-Elementen stilistisch noch recht eigentümlich zwischen alle Stühle setzt.
Die Musiker sind berauscht von dem Gefühl, unbekanntes Terrain zu betreten. Sie sind jung, idealistisch und sehr von sich überzeugt. »Wir hatten ja nichts zu verlieren«, meint Ann Wilson. »Musikalisch waren die Siebziger ein offenes Feld — wir sind einfach hineingesprungen. Und es gab auch keine vergleichbare Band, in der zwei Frauen das Sagen hatten und die Songs geschrieben haben. Das hat uns Selbstvertrauen gegeben. Wir mussten allerdings herausfinden, wie man Rock’n’Roll mit Männern macht. Wir mussten ein Paralleluniversum erfinden, das die Rock’n’Roll-Welt einer Frau war.«
Auch nach den ersten Erfolgen spüren die Frauen, dass sie nicht wirklich ernst genommen werden. Auch nicht von ihrer Plattenfirma, die ein zweites Album (Magazine) ohne ihr Wissen und im noch unfertigen Zustand veröffentlicht. Die Wilsons erwirken, dass es zurückgezogen und erst 1978 in einer von ihnen überarbeiteten Fassung erscheinen wird. Dennoch verbleibt es skizzenhaft.
Die ganze Kreativität der Band fließt stattdessen in Little Queen, die erste Platte für ihr neues Label Portrait, ein Unterlabel von CBS, die im Frühjahr 1977 erscheint. Das Cover mit der Band als fahrendem Volk einer vergangenen Epoche verrät viel über dieses Album, das tatsächlich klingt wie ein Ausflug ins Grüne.
Die Stimmung dem Leben zugewandt, die Stimmen voller jugendlichem Überschwang — und mit ihrem wohl mit Abstand größten Hit gleich vorneweg, der mit einem aggressiven und längst ikonischen Heavy-Riff gesegnet ist. Und einem giftigen Text: ›Barracuda‹ heißt der Song, der mit den Machos und Sexisten im Business abrechnet.
Von hier aus geht es weiter in alle Richtungen. ›Sylvan Song‹ ist eine würdige Schwester von Led Zeppelins ›The Battle Of Evermore‹ mit Mandolinen und ›Go On Cry‹ ein schräger, bluesiger Jam. Selbst einfache Songs wie der Rocker ›Kick It Out‹ oder das melodische, keck angefunkte Titellied unterhalten mit einer vorwärtsstürmenden Unbekümmertheit.
Auch Little Queen verkauft sich hervorragend und bringt Heart auf die Titelseite des Rolling Stone. Allein die Schwestern, versteht sich, auf die sich ihre neue Plattenfirma bei der Vermarktung konzentriert. Nicht alle in der Band finden dieses Vorgehen plausibel und akzeptabel (oder amüsant: zwar hatte sich die Plattenfirma darauf eingelassen, alle Musizierenden auf der LP-Hülle abzubilden — die Herren allerdings stehen verschwommen im Hintergrund).
»Manchmal tun sie mir im Nachhinein ein bisschen leid«, meint Ann Wilson. »Sie haben schließlich genauso hart gearbeitet wie wir. Immerhin wurden sie genauso wie wir auch in die Rock And Roll Hall of Fame gewählt. Hoffentlich haben sie sich dadurch ein wenig besser gefühlt.«