Der Balkon der Bonner Harmonie ist eng gefüllt mit ergrauten oder weißhaarigen Rockern der bekennenden Sorte und solchen, die es zumindest im Herzen geblieben sind. Und auch vor der Bühne sieht es wenig anders aus. Nichts davon ist despektierlich gemeint: Dieses Auditorium feiert eine innige Verbindung zu Ian Hunter, der mit seiner Musik nicht gerade wenige der Anwesenden durch ihre Teenagerzeit gebracht haben dürfte.
78 Jahre ist der Wahlamerikaner mit dem Wuschelkopf und der zum Markenzeichen gewordenen Sonnenbrille mittlerweile jung, der in seinem gestreiften Polo-Shirt ein bisschen wie Franz Beckenbauer ausschaut, als er sich mit einem Wasserglas in der Hand zu den zunächst alleine aufspielenden Gitarristen Mastro und Mark Bosch, Bassist Paul Page, Keyboarder Dennis Dibrizzi und Schlagzeuger Steve Holley auf die Bühne gesellt, die mit ihrer Version von ›The Moon Upstairs‹ den Abend eröffnen.
Leider bleibt es bei diesem einen Song des Mott The Hoople-Monuments Brain Capers (1972); später folgen mit ›Roll Away The Stone‹, dem feierlichen Finale ›All The Young Dudes‹, dem Velvet Underground-Cover ›Sweet Jane‹ und ›All The Way From Memphis‹ lediglich ausgesuchte Botschafter der Glam-Ära dieser bedeutsamen britischen Band, die nach dem Ableben von Dale Buffin Griffin (2016) und Pete Overend Watts im Januar 2017 unwiederbringlich Geschichte ist. Seltsamerweise wirkt gerade der Über-Hit von Mott (1973) unpassend in dem gebotenen Querschnitt durch Hunters ergiebige Solokarriere, in deren Verlauf er sich zunächst als geistreicher Hardrocker präsentierte, ehe er mit reiferem Alter mehr und mehr ein Zuhause im Singer/Songwriter-Lager fand.
Auch ›Stranded In Reality‹ und die göttlichen ›Bow Street Runners‹ verweigert er auf dieser Gastspielreise hartnäckig, aber immerhin gibt es mit dem im musikalischen Gestus von ›All The Young Dudes‹ gehaltenen Bowie-Tribut ›Dandy‹, ›Fingers Crossed‹ und ›Ghosts‹ gleich drei Songs des aktuellen Albums Fingers Crossed zu hören. Der Höhepunkt aber ist das pompöse ›Irene Wild‹, bei dem Hunter am elektrischen Klavier sitzt und seine gefesselten Anhänger mit einer zentimeterdicken Gänsehaut überzieht. Weshalb sich dieser große Musiker in den vergangenen zweieinhalb Dekaden auf deutschen Konzertbühnen so rar gemacht hat, will danach erst recht keiner mehr verstehen.