Joanne, haben es Frauen in der Rockmusik heute immer noch schwerer als Männer?
»Tja, ich denke, dass ich diese Frage so lange mit ja beantworten muss, bis man entweder über mich nicht mehr „weibliche Bluesmusikerin“ schreibt, oder dass man anfängt, Eric Clapton als „männlichen Bluesmusiker“ zu bezeichnen. Beides wird wohl so schnell nicht passieren. Wenn ich mit meiner Karriere irgendetwas bewirken könnte, dann würde ich am liebsten dafür sorgen, die Tür für andere Mädchen und Frauen ein Stückchen weiter zu öffnen.«
Das ist doch bestimmt schon geschehen.
»Vielleicht, auch wenn die Musikindustrie insbesondere in den Chefetagen immer noch sehr stark männlich dominiert ist. Trotzdem ist das Klima für Frauen fairer geworden, als es für mich anfangs war. Oder als es das für meine Inspiratorinnen wie Bonnie Raitt, Stevie Nicks oder Sheryl Crow gewesen ist. Aber solange du gesagt bekommt, „Oh, für ein Mädchen spielst du echt gut“, kann von Gleichberechtigung wohl keine Rede sein. Das klingt immer so, als litten Frauen unter irgendeiner Art von Einschränkung, die es ihnen gar nicht erst gestattet, in derselben Liga zu spielen wie Männer. Ich meine, wir haben 2025 und nicht das Jahr 1700!«
Wo wir schon über starke und emanzipierte Frauen sprechen: Erinnerst du dich noch oft an die Queen?
»Aber ja! Wie könnte ich diese reizende ältere Dame je vergessen?«
Du hast 2012 anlässlich ihres Diamantenen Thronjubiläums für Königin Elizabeth gespielt, und zwar in der Band von Annie Lennox. Hast du mit der Queen sprechen können?
»Wir haben nur kurz Hallo gesagt. Ich war verblüfft, wie klein sie ist. Aber trotz ihrer Körpergröße war sie eine formidable Erscheinung, du hast gleich gespürt, wieviel Charisma sie hat. Gott hab sie selig. Ein bisschen länger konnte ich mit ihrem Sohn sprechen, mit Prinz Charles, inzwischen natürlich König Charles.«
Was ist dir von eurer Unterhaltung in Erinnerung?
(lacht) »Er fragte mich seltsamerweise, aus welchem Teil Australiens ich denn kommen würde. Ich habe mitgespielt und geantwortet Sydney, weil ich ihn nicht beleidigen wollte. Ich wusste ja nicht, ob es sich geziemt, den zukünftigen König zu korrigieren, so auf offener Bühne. Wer weiß, vielleicht hätten sie mich ja gefangengenommen und im Tower geköpft (lacht). Also habe ich mir nichts anmerken lassen.«
Und Charles?
»War mit meiner Antwort sehr zufrieden. Ich mochte ihn, er machte auf mich einen durch und durch sympathischen Eindruck.«
Du lebst seit nunmehr über 15 Jahren nicht mehr in England, sondern in den USA. Fehlt dir das Leben in Großbritannien gar nicht?
»Ach, ich bin ja oft genug dort. Um zu spielen oder um meine Familie zu besuchen, meinen Vater zum Beispiel. Seit ich nicht mehr dort lebe, denke ich sogar mehr über meine Heimat nach als früher. Über die Queen zum Beispiel. Mir war gar nicht klar, was für eine historisch bedeutende Figur sie war, was sie in ihrer so langen Regentschaft alles angestoßen und bewirkt hat. Sie war ganz gewiss alles andere als unpolitisch. Und wenn ich an sie denke, denke ich auch an meine Mutter. Mom war schon sehr krank, als ich für die Königin gespielt habe. Sie hatte Eierstockkrebs und starb acht Monate später. Aber sie hat meinen Auftritt im Fernsehen angeschaut, und es hat ihr sehr viel bedeutet. Sie hat sogar noch mal ein wenig Auftrieb bekommen, das konnte man richtig sehen. Dass meine Mutter mich noch gesehen hat und dass sie stolz auf mich war, macht mich glücklicher und bedeutet mir mehr als alles andere, was ich in meiner Karriere erreicht habe.«
Bist du als Ausgewanderte vielleicht sogar britischer als vorher?
»Ich bin ja eine komische Auswanderin, weil ich kaum die Hälfte des Jahres überhaupt zu Hause in Nashville bin. Aber ich mag die Stadt, ich habe die Atmosphäre liebgewonnen, die Musik liegt in Nashville sprichwörtlich überall in der Luft. Und viele meiner Liebsten sind auch dort. Joe Bonamassa, auf dessen Label ich meine Alben veröffentliche, wohnt fast nebenan, wir sind seit vielen Jahren richtig gut Freunde. Auch Kevin Shirley, Joes und mein Produzent, wohnt in Nashville. Ich denke oft über die doppelte Staatsbürgerschaft nach, kann sein, dass ich dieses Projekt bald in Angriff nehme.«
Was sind die Vorteile?
»Ich stelle es mir einfach angenehm vor, offiziell Bürgerin des Landes zu sein, in dem ich lebe. Auch mit den Behörden ist es dann unkomplizierter.«
Während andere über ihre Flucht aus den USA nachdenken, planst du also gewissermaßen die Flucht nach vorn?
»Ich muss gestehen, ich lebe wirklich sehr gerne hier. Ich will gar nicht weg. Und ein weiterer Vorteil der Staatsbürgerschaft ist das Wahlrecht. Insgesamt habe ich meinen Nachrichtenkonsum ziemlich drastisch reduziert. Man hält das ja sonst nicht aus, und richtig toll läuft es ja gerade auch anderswo nicht. Ich versuche, meine positive Grundeinstellung zu behalten und mich mit Menschen zu umgeben, die gut für mich sind und die eine konstruktive, vorwärtsgewandte Haltung haben, anstatt destruktiv zu denken und zu agieren.«
Konstruktiv und nach vorne gewandt bist du auch in deiner Arbeit. Nicht nur, dass du unermüdlich tourst, du veröffentlichst auch beinahe streng-regelmäßig Alben. Erst im vergangenen Jahr kam das zugängliche Heavy Soul, jetzt folgt Black & Gold, das insgesamt wieder etwas bluesrockiger klingt, gleichwohl aber deine Qualitäten als Songschreiberin fokussiert. ›Grayer Shade Of Blue‹ etwa ist ganz besonders zauberhaften Lied, das eine Roots-Ausgabe der Pop-Inkarnation von Fleetwood Mac abgeben könnte. Der Qualität deiner Musik steht die Frequenz der Veröffentlichungen offenbar nicht im Weg.
»Ich habe ADHS. Das heißt, dass ich in vielen Dingen schnell bin. Einfach, weil ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren kann. Ich will einen Song immer direkt schreiben, direkt aufnehmen, am liebsten auch direkt rausbringen (lacht). Das geht natürlich nicht, aber eine typische halbe Stunde in meinem Leben sieht so aus, dass ich zehn Minuten Fernsehen gucke, zehn Minuten lese und zehn Minuten male.«
Du hast den Tod deiner Mutter bereits angesprochen. Ist es richtig, dass der Song ›Who’s Gonna Love Me Now‹ von deiner Trauer über diesen Verlust handelt?
»Ja, das stimmt. Nachdem meine Mutter starb, bin ich durch eine sehr schwere Zeit gegangen. Meine psychische Gesundheit verschlechterte sich rapide, ich fühlte mich extrem verängstigt und depressiv. Parallel habe ich sehr hart gearbeitet, um mich abzulenken, und ich war froh, den dunklen Ort in meinem Innern während meiner Konzerte oder auch im Studio für eine Weile verlassen zu können. Trotzdem habe ich mich lange gequält. Es hört sich vielleicht komisch an, aber als 2020 die Corona-Pandemie begann und mich beruflich lahmlegte, war das für mich viel mehr Segen als Fluch. Ich hatte Zeit für lange Spaziergänge und die Gesellschaft angenehmer Menschen. Ich habe in dieser Phase sehr viel über Verlust und Trauer gesprochen und ich habe gelernt, dass die Trauer immer bei einem bleibt. Sie verändert sich bloß mit der Zeit, und tatsächlich wird es leichter. Insgesamt ist der Tod ein Thema, das mich immer schon beschäftigt hat.«
Seit Anfang an?
»Ja, sogar seit dem absoluten Anfang. Der allererste Song, den ich je in meinem Leben geschrieben habe und der auch der erste Song auf meinem ersten Album White Sugar ist, heißt ›Going Home‹. Ich muss so 20 oder 21 gewesen sein, und ich tat mich schwer mit dem Text. Ich kam schließlich auf die Idee, über meine Schulfreundin zu schreiben, die sich das Leben genommen hatte, als ich zwölf war. Es war unmöglich für mich, zu jener Zeit zu verstehen, was in ihrem Kopf vor sich ging. Auch anschließend ließ mich das Ereignis nicht los. So habe ich den Text zu ›Going Home‹ praktisch wie einen Abschiedsbrief gestaltet, was sehr therapeutisch war und mir dabei half, zu heilen.«
Du bist in diesem Jahr vierzig geworden, Black & Gold ist dein zehntes Album, du bist etwa die Hälfte deines Lebens Musikerin und Songschreiberin. War dir immer klar, dass dieses Leben deine Bestimmung ist?
»Nicht immer, aber schon so seit meiner frühen Teenagerzeit. Ich habe eine chronische Lungenkrankheit, die zur Folge hat, dass herkömmliche Erkältungen bei mir weitaus schwerer verlaufen als bei gesunden Menschen. Ich war 13 und hatte diese schwere Bronchitis, als ich mit meinem Vater auf dem Sofa lag. Als er dachte, ich sei eingeschlafen, legte er eine DVD ein mit einem Dokumentarfilm über Stevie Ray Vaughan. Er dachte, ich würde nichts mitbekommen, aber ich war nur so am Dösen und guckte mir den ganzen Film mit an. Ich fand das faszinierend. Irgendwie hatte dieser Moment etwas Erleuchtendes für mich.«
Behindert dich die Erkrankung auch heute noch?
»Eigentlich nicht, außer, dass ich manchmal mit meinen Kräften etwas haushalten muss. Ich passe ganz gut auf mich auf, übertreibe es nicht mit dem Feiern und dem Alkohol, sehe zu, dass ich auf Tour ausreichend schlafe, und um alles weitere kümmert sich Hank.«
Hank?
»Mein gesundheitlicher Unterstützungsdackel. Da er ein Dienstleistungshund ist, darf er im Flugzeug mit mir in der Kabine reisen. Hank ist einfach ein ganz großartiges Tier. Er freut sich schon sehr auf Deutschland, die Heimat seiner Vorfahren. Ich habe ihm schon ein Schnitzel versprochen, wenn er brav ist (lacht).«
Mehr zu Joanne Shaw Taylor u.a. in ► ROCKS Nr. 108 (05/2025), ►ROCKS Nr. 101 (04/2024) & ►ROCKS Nr. 92 (01/2023).








