Christer Harøy ist Familienmensch durch und durch. Er lebt für das Zusammensein mit seiner Gattin und den beiden gemeinsamen Kindern — und auch seine besten Freunde und musikalischen Wegbegleiter fand er schon vor geraumer Zeit in der engen Verwandtschaft. Mit seinem jüngeren Bruder Rayner unterhält der Gitarrist seit Mitte der Neunziger die Band Divided Multitude, die mit ihrem progressivem Power Metal bislang sieben Alben füllte. Bei Mantric Momentum kooperiert er mit seinem singenden Cousin Terje, um dessen musikalische Sozialisation sich Harøy bereits in jungen Jahren kümmerte. Musik hat in ihrem Umfeld immer schon eine gewichtige Rolle gespielt. »Wir hatten ja sonst nichts«, schmunzelt der 50-Jährige. »Wir alle sind in einer sehr ländlichen Gegend aufgewachsen, zwei Autostunden nordwestlich von Trondheim. Terje ist neun Jahre jünger als ich, wir haben zusammen Fußball gespielt und Musik gehört. Die erste Platte, die wir gemeinsam entdeckt und gleichermaßen geil fanden, war 1996 Kiss Unplugged. Da war Terje 13 Jahre alt.«
Heute bilden die beiden den Stamm von Mantric Momentum, bei denen Christer Harøy als Komponist und Gitarrist in Erscheinung tritt und im Studio auch Bass und Schlagzeug einspielt, während sich sein Cousin auf den Gesang konzentriert. »Mantric Momentum haben sich aus einem Spaß-Ding heraus entwickelt, das ich vor über zehn Jahren mit dem dänischen Produzenten und Musiker Jacob Hansen initiiert hatte«, erklärt Harøy. »Damals entstanden einige Songs, die wir nach und nach und mit unterschiedlichen Stimmen als Digital-Singles herausgebracht haben. Mal war Ralf Scheepers von Primal Fear als Sänger dabei, Netta Laurenne von Smackbound oder Yannis Papadopoulos von Beast In Black. Aber erst als ich 2021 Terje mit ins Boot holte, wurde es wirklich ernst mit Mantric Momentum.«
Christer Harøy wusste schon zu dieser Zeit um die stimmlichen Qualitäten seines Cousins, der sich längst einen Namen als Sänger der Dänen Pyramaze machen konnte, denen er 2015 zugestiegen war — und 2023 in der norwegischen Variante der Casting-Show The Voice auftrumpfen konnte. Beide spielten zudem in Teodor Tuff, die mit ihrem Zweitwerk Soliloquy (2012) ein hörenswertes, in der Schnittmenge von Progressive- und Melodic-Metal angesiedeltes Album veröffentlichten und sich später in Crossnail umbenannten.
»Terje sollte damals an sich nur die Pilotspuren für einen Song einsingen, den ich Netta Laurenne zugedacht hatte«, erinnert sich Harøy. »Seine Version hat mich allerdings dermaßen geflasht, dass ich Mantric Momentum unbedingt mit ihm richtig ans Laufen bekommen wollte. Die Verbindung zwischen uns passt einfach, auch menschlich funken wir auf einer Wellenlänge und können uns über denselben Blödsinn kaputtlachen. Das hilft ungemein. In der heutigen Welt sowieso.«
Dass sich Christer Harøy auch für das zweite Mantric Momentum-Album Alienized einen wachen Blick für gesellschaftliche Missstände bewahrt hat, wird in dessen Titelsong deutlich. Die Zeilen, die sich zunächst lediglich nach der Bestandsaufnahme einer problematischen Liebesbeziehung anhören, lassen sich unschwer auf die Menschheit im Allgemeinen münzen.
»Die Gräben zwischen den Menschen werden immer tiefer«, stimmt der Multiinstrumentalist zu. »Schon unsere Jüngsten beschäftigen sich heute lieber mit ihren Smartphones, anstatt mit ihren Freunden um die Häuser zu ziehen und Spaß in der wirklichen Welt zu haben. Und auch in politischer Hinsicht wird alles immer nur noch extremer. Miteinander zu diskutieren und die unterschiedlichen Standpunkte zu beleuchten, ist vielen Menschen zu anstrengend geworden. Was nicht ins eigene Bild passt, wird verteufelt. Die Welt entfremdet sich immer mehr voneinander. Sehr bestürzend...«
Sich die von seinem Cousin zu Papier gebrachten Gedanken im Studio anzueignen und sie mit Leben zu füllen, empfindet Terje Harøy keineswegs als Bürde. Die beiden tauschen sich regelmäßig über etwaige Themen aus und sind sich bis zu den jeweiligen Aufnahmen einig in der Wortwahl. »Ich vergleiche mich beim Singen gerne mit einem Schauspieler, der in die erforderlichen Rollen schlüpft«, erklärt der Frontmann. »Ganz gleich, ob Christer einen Text über das Weltgeschehen schreibt oder einen intimeren thematischen Ansatz wählt wie in ›Remember‹, das von der Demenzerkrankung eines geliebten Menschen handelt: Ich nehme für die Dauer des Songs eine andere Identität an — eben genau so wie ein Schauspieler auf der Bühne oder in einem Film.« Das klappt selbst dann, wenn sich Kompositionen mit Christer Harøys Sprösslingen beschäftigen. »Auf unserem Debüt Trial By Fire steht mit ›Diamond‹ eine Nummer, die er für seinen Sohn verfasst hat, auf Alienized ist ›The Light‹ seiner Tochter gewidmet. Und ich verleihe seinen Gefühlen eine Stimme — das funktioniert sehr gut.«
Hält man Christer Harøy vor, der Einstieg in ›The Highest Mountain‹ erinnere frappierend an Queens ›We Will Rock You‹, sucht dieser gar nicht erst nach Ausflüchten. »Wir wollten ein hymnisches Stück, das im Handumdrehen die Aufmerksamkeit des Hörers erregt, und das gelingt mit diesem markanten Rhythmus problemlos. Ich bin recht offen in meinem Musikgeschmack und hege auch eine große Vorliebe für melodischen Death Metal aus Schweden. Bands wie In Flames, Soilwork oder Dark Tranquillity holen mich seit Jahren ab, ihre Alben machen mich glücklich. Darum ist es kein Wunder, dass man beispielsweise in ›Time Is My Ally‹ Passagen entdecken kann, die an diese Künstler erinnern. Uns geht es mit Mantric Momentum schlicht darum, Songs anzubieten, die gleichermaßen hart und anspruchsvoll sind, dabei aber kein bisschen verkopft klingen. Wer auf Trial By Fire und Alienized nach Querverweisen zu unseren Inspirationsquellen sucht, wird diese sicherlich früher oder später auch finden. Iron Maiden, Helloween, Last Tribe oder Abba — alles ist in homöopathischen Dosen vorhanden.«
Als reines Studio-Projekt wollen sich Mantric Momentum nicht verstanden wissen, zumindest nicht auf längere Sicht. Gemeinsam mit befreundeten Musikern, die in Bands wie Triosphere und Circus Maximus aktiv sind respektive waren, wollen sie ihr musikalisches Steckenpferd auch auf europäischen Bühnen etablieren, wie Christer Harøy sagt. »Anfang April gastieren wir in unserer Heimatgemeinde Bjugn, ehe wir am 1. Mai als Vorgruppe der schwedischen Prog-Metaller Soen in Trondheim auftreten werden. Als besonderes Schmankerl wird uns bei diesen Gelegenheiten Terjes Schwester Tonje als Background-Sängerin begleiten und den Familienanteil innerhalb Mantric Momentums nochmals erhöhen. Das ist ein Anfang, dem hoffentlich in naher Zukunft weitere Shows folgen werden.«