Crossbone Skully

Die Rotzlöffel von Wolke sieben

Tommy Henriksen wird gemeinhin mit der Band von Alice Cooper assoziiert, die er als Gitarrist bereichert — die Jahrzehnte zuvor brachte er sich als Musiker für Warlock, Doro sowie als Produzent für diverse Pop-Sternchen in Position. Sein Herz aber gehört vor allem der Musik von AC/DC, lässt er mit dem Debüt seiner eigenen Band wissen.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Kim Moran

Wenn er nicht gerade mit Alice Cooper unterwegs ist, vergeht kaum ein Tag, an dem Tommy Henriksen nicht in Alben wie Highway To Hell oder Powerage abtaucht, die er seit Ewigkeiten in- und auswendig kennt — und doch nie genug von ihnen und der Magie des unvergleichlich groovenden Riff- und Boogie-Rock bekommen kann, den AC/DC in den Siebzigern immer weiter perfektionierten. Er ist in dieser Hinsicht ein begeistertes Kind geblieben, erzählt er strahlend. Wozu auch sein anderer großer Spleen hervorragend passe: Comics. Und die bevorzugt aus der Abteilung der Superhelden. Als Musiker kennt der Gitarrist dagegen sehr wohl seine Grenzen. Er steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und folgt seit jeher einer selbstauferlegten Maxime: Nimm Rat an von jenen, die es besser können. Kaum jemand bietet sich dafür eher an als sein jetziger Arbeitgeber, für den er seit 2011 tätig ist. Denn wer, wenn nicht Alice Cooper, würde jederzeit bestätigen, dass im Rock’n’Roll alles möglich ist.

»Bei ihm in der Band findet jeder seinen Platz und fühlt sich wohl«, plaudert der 60-Jährige Passionsjugendliche unbekümmert drauflos, kurz bevor er mit dem Schock-Rocker in Manchester auf die Bühne muss. »Alice ist alles andere als ein Diktator, er lässt seine Musiker auch mal an ihren Aufgaben wachsen und rümpft über keine Idee die Nase, obwohl er ja wirklich schon alles gesehen und gehört hat. Das hat mich mutiger werden lassen. Gerade im Zusammenhang mit meinem Solo-Projekt. Alice sagt immer, man solle ruhig auch mal unkonventionelle Dinge ausprobieren. Das kann zu Erstaunlichem führen, und wenn nicht, ist man am Ende eben doch wieder am Ausgangspunkt und startet neu. Auch nicht weiter tragisch.«



Crossbone Skully ist nicht das einzige Bandprojekt, dem Henriksen, der unter eigenem Namen bereits fünf Solo-Alben veröffentlicht hat, abseits seiner Wirkungsstätten bei Alice Cooper und den nebenher laufenden Hollywood Vampires zu einem Album verhalf. Auch mit Krokus-Stimme Marc Storace machte er erst kürzlich auf dessen Alleingang Crossfire gemeinsame Sache. »Wir leben ja beide in der Schweiz und sind uns so vor einem Jahr zufällig über den Weg gelaufen. Dabei rutschte mir heraus, dass ich gerne mal mit ihm ein Solo-Album machen würde — und zwar eins, das wie Krokus in den frühen Achtzigern klingt. Er hat lange gezögert, sich aber dann doch mitreißen lassen.«

Evil World Machine war zu diesem Zeitpunkt eigentlich bereits fertig. Dachte er zumindest: Nicht zuletzt die Arbeit mit Storace brachte wertvollen zeitlichen Abstand zwischen Tommy Henriksen und den Aufnahmen von Crossbone Skully, der ihn die Einspielungen nochmal neu bewerten — und nachbessern ließ. Krokus gehören, wie auch AC/DC, die frühen Def Leppard und Airbourne zu den Hauptinspirationsquellen seines Herzensprojekts, dessen frühester Entwurf bis ins Jahr 2017 zurückreicht. Damals hatte sich Henriksen zu Entspannungszwecken immer mal wieder mit ein paar Freunden in seiner Garage getroffen, und Lieder dieser Stilrichtung gespielt. »Und plötzlich kam die Frage auf, ob ich denn die Sache nicht etwas ernsthafter angehen wolle. Darüber hatte ich bis dahin nie nachgedacht.«



Das Okay seines Chefs und einige Anrufe genügen, um Crossbone Skully Gestalt annehmen zu lassen. Mit dabei: sein Freund und Gitarren-Partner Tommy Denander, Alice Cooper-Trommler Glen Sobel, The Cult-Bassist Chris Wyse und Keyboarder Jamie Muhoberac von My Chemical Romance. Eine unerwartete Wendung verleiht dem Projekt zudem höhere Weihen: Produzenten-Legende Mutt Lange unterbricht seinen Ruhestand, um die Lieder von Evil World Machine mit seiner Expertise und seiner unvergleichlichen Signatur zu verfeinern. Die Courage, den Mann zu kontaktieren, der für einige seiner absoluten Lieblingsalben verantwortlich zeichnet, hätte er selbst nie im Leben gehabt, gesteht Henriksen lachend. Denander schon. Der schwedische Komponist ist seit langem mit der Produzenten-Ikone befreundet und vertraut dessen untrüglichem Gespür zunächst das erste halbwegs fertige Stück der Platte, ›The Boom Went The Boom‹, an.

»Und ich schwöre: Dieser schnörkellose, komplett hemdsärmelige Rock’n’Roll-Song hat nichts von seinem eigenen Charakter verloren, aber klingt nun irgendwie elegant und wie eine Kreuzung aus AC/DC und Def Leppard. Dabei ist er auch keine Kopie, sondern trägt immer noch meine ganz eigene Handschrift. Das musste ich mir erst einmal vergegenwärtigen: Einer der größten Produzenten der Welt macht mit einem unbedeutenden Rotzlöffel aus der New Yorker Gosse gemeinsame Sache. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe, und selbst wenn die Platte nur fünf Stück verkauft, werde ich unheimlich stolz auf sie sein. Im Moment schwebe ich noch im siebten Himmel.«



Das Klangbild ist nicht das einzig Bemerkenswerte an Evil World Machine. Vom rotzrockigen Anfang bis zum hörspielartigen Schluss bezieht das Werk seine Spannung auch aus seinem zugrundeliegenden Konzept. In dessen Mittelpunkt steht der fiktive, von Henriksen ersonnene Charakter Crossbone Skully. Ein Superheld der besonderen Art, der, soviel darf verraten werden, keineswegs sicher ist, ob es die Menschheit wert ist, gerettet zu werden. Genießen lässt sich die Platte auch ohne jene liedübergreifenden Textbausteine — ähnlich wie die jüngste Alice Cooper-Scheibe Road. Sein Mentor habe ihn bei seinem Alleingang ohne Vorbehalte unterstützt und angeleitet, eine Platte zu strukturieren und dramaturgisch mit Leben zu füllen.

»Alice hat mir geraten, ein verbindendes Thema als Ausgangspunkt zu benutzen, das hat mir tatsächlich sehr geholfen, auch wenn ich keine Botschaften vermitteln will. Das gehört nicht zu meiner Sichtweise des Rock’n’Roll.« Er tauge nicht zum Politiker, winkt der Musiker ab, andererseits mag er aber keine flachen und nichtssagenden Lieder. Doch er hat eine genaue Vorstellung von der Welt, in der er leben möchte. »Egal, wie tief die Kluft zwischen uns Menschen, wie hoffnungslos die Dinge uns auch erscheinen mögen oder wie tief uns die Mächtigen dieser Welt in die Scheiße reiten, ich hoffe, dass sich die Menschen am Ende nicht entzweien lassen. Und so könnte ich mir meinen kleinen Helden gut als Charakter eines Films vorstellen. Er ist ein Alien, ein Gestaltwandler und eine zutiefst mysteriöse Gestalt, ist immer angepisst, aber hat einen großartigen Sinn für Humor. Er muss jeden Tag entscheiden, ob er die Welt retten oder sie zerstören soll und steht politisch nicht links oder rechts, sondern für das Richtige. Wenn ich so darüber nachdenke: Das klingt schon ein wenig nach mir.«



Evil World Machine ist ein brutal unterhaltsames Hardrock-Album geworden. ›The Sin Eater‹ und ›The Last Night On Earth‹ sind famose Verbeugungen vor den alten Def Leppard (Pyromania und Hysteria), während ›I’m A Bone Machine‹ High’n’Dry sleazig weiterführt: Mutt-Lange-Chöre und markante Gitarrenfills inklusive. Zwischen AC/DC, Krokus und Airbourne groovt der Titelsong, ›The Boom Went The Boom‹ (mit Collen als Gast); ›Flip The Bird‹ und ›Everyone’s On Dope‹ führen immer tiefer hinein ins Riff-Rock-Land, an dessen äußersten Ausläufer die Bühne eines Irish Pubs lockt.

»Es gibt ein bisschen Alex Harvey, The Who oder Bowie, viel Angus, noch mehr Def Leppard und sogar etwas David Gilmour. ›I Am The Wolf‹ war mein Versuch, einen gruseligen Pink Floyd-Song zu schreiben. Inspiriert dazu hat mich der Horrorfilm Mandy mit Nicolas Cage, den ich damals gerade geschaut hatte.« 

Auch vor einer kleinen Bon Jovi-Verbeugung scheut sich der Wahl-Schweizer nicht, wenn er ›I’m Unbreakable‹ mit einer Tonfolge beginnen lässt, die an ›Wanted Dead Or Alive‹ erinnert. »Jemand meinte im Spaß, ich solle einfach das Banjo weglassen, dann werde niemand die Ähnlichkeit bemerken«, lacht der vielbeschäftigte Musiker. »Deshalb habe ich es erst recht drin gelassen. Ich liebe solche subtilen Querverweise und ich liebe Bon Jovi und stehe auch dazu. Wer den Spaß nicht verstehen will oder mir gar unterstellt, ich würde abkupfern, gehört nicht zu den Personen, die ich mit der Platte erreichen möchte.«


Dieser Text stammt aus ► ROCKS Nr. 104 (01/2025).

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