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Johnny Crash

Erst angepisst, dann ausgebrannt

Sie sahen aus wie eine Straßen-Gang und spielten auch so: Ihr von AC/DC und den Stones beeinflusster Hardrock klang in seiner Kaltschnäuzigkeit exakt so, als wäre Highway To Hell geradewegs in die von der amerikanischen Westküste aus dominierte Ära des Sleaze hineingeplatzt. Ihr schlechtes Timing bemerken Johnny Crash… zu spät.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: Cover

Er sei immer noch nicht entschlossen, ob sie mit ihrem ersten Album zu spät dran oder der Zeit womöglich sogar etwas voraus waren, überlegt Vicki James Wright. »Eigentlich hätte Neighbourhood Threat schon 1989 erscheinen sollen. Wir hätten mehr Zeit gehabt, die Band zu entwickeln, die wir so nicht hatten. Nevermind hat in der Musikbranche alles verändert — und das musste auch sein. Nirvana sind im Grunde aus denselben Motiven angetreten wie wir: Es brauchte wieder eine Erdung in der Rockmusik, die immer stärker designt und stromlinienförmig wirkte. All dieser Glam- und Hair-Metal hatte für uns nichts mehr mit echtem Rock’n’Roll zu tun.«

Auf den hat sich der junge Sänger bereits eingeschossen, als er im nordenglischen Yorkshire noch die Schulbank drückt. 1984 steigt er bei Tokyo Blade ein, die gerade ihren Sänger Alan Marsh verloren hatten und ihr zweites Album von dem 17-jährigen Blondschopf neu einsingen lassen. Night Of The Blade polarisiert, denn bei aller Klasse hatte die aus Salisbury stammenden Gruppe begonnen, ihr Bekenntnis zur NWoBHM infrage zu stellen und sich einen stärker amerikanisierten Sound anzueignen. »Ich mag das zweite mit mir entstandene Album etwas lieber, weil ich mich in die Musik einbringen konnte, die bei meinem Einstieg vollständig existierte«, erzählt der Brite. »Black Hearts & Jaded Spades war ein Kompromiss, mehr war einfach nicht drin. Ich war nie ein Metal-Head. Schon in der Schule war ich der einzige, der Aerosmith und Rose Tattoo immer viel cooler fand.«



Im Dezember 1985 kehrt der Sänger seiner Heimat den Rücken und sucht sein Glück in Los Angeles. Mitgebracht hat er ein Startkapital von bescheidenen 500 Dollar — und frohe Hoffnung: Endlich ist er ist mittendrin im Epizentrum des Rock’n’Roll. »Das erste Konzert, das ich mir damals angesehen habe, war eine Show von Guns N’ Roses im Troubadour. Ganze zwölf Leute standen damals im Publikum — ein Jahr später hatten sie einen Plattenvertrag und haben immer höhere Wellen geschlagen. Guns N’ Roses waren Vorbild für so viele neue Bands — auch für mich.«

Um über die Runden zu kommen, ackert er in einem Holzverarbeitungsbetrieb, gründet die Vicki James Wright Band und knüpft Kontakte. Auch zu den Gitarristen Christopher Stewart und August Worchell, die dem exzentrischen Sänger Mandy Lion (WWIII) davongelaufen waren. Mit ihnen ruft er Johnny Crash ins Leben. Den Bass übernimmt zunächst Terry Nails aus der Solo-Band des früheren Sex Pistols-Gitarristen Steve Jones, als Schlagzeuger gewinnen sie Stephen „Punkee“ Adamo, der eine Weile bei den Rock City Angels gespielt hatte. Johnny Crash entwickeln sich zu einer respektierten Live-Band — und werden von CBS unter Vertrag genommen. Im Studio arbeiten sie 1989 zunächst mit Andy Johns, der in den Siebzigern als Produzent und Engineer für die Rolling Stones, Led Zeppelin und Humble Pie Geschichte schrieb.



Doch bald wechseln sie zu Tony Platt, der ihrer ersten Platte einen starken Sound ermöglicht, dessen Eigenschaften durchaus an eine in Sleaze gegossene Ausgabe des einst von ihm mitbetreuten AC/DC-Meilensteins Highway To Hell erinnern könnte. Insbesondere Stewart und August behaupten vehement, Platt sei der Todesstoß für Johnny Crash gewesen, weil er die Stones-Anteile in ihrem Sound unterjocht und die Band noch stärker nach AC/DC hätte klingen lassen, als sie es ohnehin schon tat. Wright fehlt für diese Vorwürfe das Verständnis.

»Die Aufnahmen der Vorproduktion, die wir mit Andy Johns gemacht hatten, klangen sehr gut, allerdings geschliffener. Wir haben aber nur deshalb nicht weiter mit ihm gearbeitet, weil er in dieser Zeit einer anderen Band verpflichtet war und einfach nicht konnte. Wenn es überhaupt so etwas wie einen Todesstoß gegeben hat, dann waren es die Drogen. Als das Heroin später in die Band kam, ging alles den Bach runter. Heroin war der Grund, warum wir August auf der Dr. Feelgood-Tour mit Mötley Crüe aus der Band werfen mussten. Das Zeug hat unseren Bassisten Andy Rogers 1992 das Leben gekostet! Das hat uns ruiniert, aber ganz sicher nicht der Produktionsstil von Tony Platt. Ich liebe den Klang von Neighbourhood Threat. Wir haben die Platte zusammen eingespielt, live als Band in einem Raum und zum Teil mit klobigen Halbresonanzgitarren mit extradicken Saiten. Alles sollte roh klingen —anders eben als die üblichen Hardrock-Sounds, die man in dieser Zeit zu hören bekommen hat. Chris hat Tony Platt übrigens sehr dabei geholfen, unseren Studio-Sound auszuformen. Er hätte selbst ein großartiger Produzent werden können, er war stark von Harry Vanda und George Young beeinflusst.«



1991 nehmen Johnny Crash mit dem songschreibenden Produzenten Taylor Rhodes eine zweite LP auf. Gitarrist August Worchell und Schlagzeuger Punkee Adamo hatten sie zwischenzeitlich durch J.J. Bolt und Matt Sorum ersetzt, und auch Dizzy Reed gibt ein Gastspiel. Bis heute hält sich das Gerücht, das Erscheinen der als A Slice Of Life konzipierten Aufnahmen wäre rechtlich blockiert worden, weil gleich zwei der an den Aufnahmen beteiligten Musiker bereits so gut wie sicher bei Guns N’ Roses angeheuert hatten. Letztlich erscheinen sie als Unfinished Business erst 2008, lange nach dem Auseinanderfallen der Gruppe, und verblüffen mit stärkerem Siebziger-Stones-Einschlag. Das wirkliche Vermächtnis von Johnny Crash jedoch ist Neighbourhood Threat, findet Wright.

»Wir haben uns immer wieder für dieses Album rechtfertigen müssen. Meine Vision war es immer, AC/DC mit den Rolling Stones und Rose Tattoo zu kreuzen. Ich werde nie vergessen, wie ich nach einem Konzert mit Tokyo Blade beim Breaking Sound Festival in Paris mit James Hetfield zusammensaß und von ihm wissen wollte, wie Metallica ihren originellen Sound gefunden haben. Sie hätten mit Motörhead und Diamond Head einfach bloß zwei ihrer Lieblingsbands zu einer vermischt, war seine Antwort. Daran habe ich mich bei Johnny Crash gehalten.«


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