The Rolling Stones

Goats Head Soup (Super-Deluxe)

Universal
VÖ: 2020

Sexy im Deluxe-Dress

Es lief bestens: Im Mai 1972 erst hatten die Rolling Stones das überbordende Exile On Main St. veröffentlicht — und noch während ihrer zweimonatigen und über alle Maßen erfolgreichen US-Tournee direkt im Anschluss konnten sie zufrieden dabei zuschauen, wie ihre in Nellcôte entstandene Doppel-LP auf beiden Seiten des Atlantiks die Charts eroberte. Die Stones waren nicht nur endgültig in den Siebzigern angekommen: Sie thronten ganz oben auf dem Gipfel des Rock-Olymp und begannen, ihre Leben auch genau so zu leben. Bereits im November kam die Band auf Jamaika zusammen — hier ließ man sie ob ihrer immer schwerer wiegenden Rauschmittelvergehen noch einreisen, um in einer ersten Aufnahmeetappe Goats Head Soup anzugehen; weitere folgten in London. In einem Interview hat Mick Jagger später zugegeben, dass seine Band in jener Zeit wohl etwas zu sehr von sich und ihrem Status überzeugt gewesen sei. Selbstgefälligkeit schwingt auch in der Musik von Goats Head Soup mit.

Die Stones treiben mit dem neu für sich entdeckten und von Billy Preston gespielten Clavinett (›100 Years Ago‹), lehnen sich an Van Morrison (›Winter‹), greifen nach Funk (›Dancing With Mr. D‹) und vielen Drogen, deren Schleier über der Musik liegt: Ein stark verkanntes Album, das nun in einer erweiterten Jubiläumsedition zu haben ist. Reizvoll wird diese weniger durch den neuen Stereo-Mix, als durch einen weiteren Tonträger mit alternativen Mixen von Glyn Jones (produziert hat die Platte Jimmy Miller) und Raritäten, die der Deluxe-Doppel-CD zugesteckt wurden: ›Scarlet‹ etwa ist ein funkiges Stück, in dem hörbar Jimmy Page mitmischt, und auch ›Criss Cross‹ und ›All The Rage‹ sind Aufnahmen, die es so und offiziell noch nicht zu hören gab.

Richtig sexy wird es aber erst im Falle des Super-Deluxe-Sets, dem außerdem The Brussels Affair beiliegt: Ein prächtiger Mitschnitt eines sensationellen Konzerts im Forrest National, wo die Stones 1973 im Rahmen ihrer Goats Head Soup-Tour in Belgien gastierten. Außerhalb Asiens war dieses Feuerwerk von einem Konzertdokument mit einem brennenden Mick Taylor lediglich als kostenpflichtiger Download zu bekommen: Die zwölf Minuten ›Midnight Rambler‹ sind darauf nur ein Höhepunkt unter vielen. Dazu gibt's ein 120 Seiten starkes Buch und Tour-Poster-Repliken.

(8.5/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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