The Beatles

The Beatles (50th Anniversary Edition)

Universal
VÖ: 2018

Ein großes Geschenk

Die rumorende Grundstimmung, der überbordende Facettenreichtum der hart mit Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und der Magical Mystery Tour-EP brechenden Lieder (dazu gleich mehr als doppelt so viele wie gewöhnlich), der zwischenzeitliche Ausstieg von Ringo Starr und das Aufkreuzen von Yoko Ono: Das „Weiße Album“ der Beatles gilt seit jeher als besonders schönes Dokument des beginnenden Zerwürfnisses der fabulösen Vier, das bei den Sessions im Folgejahr eskalieren wird.

Wie sehr die Beatles auch weiterhin durch ihre Musik miteinander verbunden und dazu in der Lage waren, in den entscheidenden Augenblicken ganz eng zusammenzurücken, wird bei dieser Aufarbeitung zum fünfzigsten Jubiläum von The Beatles besonders deutlich. Nicht nur im phänomenalen neuen Mix von Giles Martin, der dazu einlädt, dieses ungewöhnliche Doppelalbum von 1968 ganz neu zu entdecken:

Bislang ermöglichte die jüngste Mono-Variante den ultimativen Hör- und Erfassungsgenuss von The Beatles — der nachempfundene, aber mit großer Vorsicht in ein nuancenreich separiertes Stereopanorama überführte Klang dieser Jubiläumsedition ist ein aufregendes Erlebnis und eine wertvolle Bereicherung. Man höre nur McCartneys Bass oder die frischen, nun sehr klaren Gitarrendetails, die deutlich machen, wie sehr diese Platte ein Rock-Album ist — und zwar lange nicht nur in den offensichtlichen Augenblicken wie ›Back In The U.S.S.R.‹, ›Helter Skelter‹, ›Everybody’s Got Something To Hide…‹ oder dem göttlichen ›Year Blues‹: Selbst in bunt orchestrierten Macca-Nummern wie ›Martha My Dear‹ behalten die Gitarren ihren Schneid und Rotz.

Absolut überwältigend und für sich bereits zwingender Anschaffungsgrund sind die 27 als „Esher Demos“ bekannt gewordenen Akustikaufnahmen, die im Mai 1968 zur Vorbereitung der Albumsession im Haus von George Harrison entstanden — und die die Beatles womöglich zum letzten Mal als Einheit enger Freunde hören lassen. Klangen die kursierenden Bootlegs nach dem, was die Mitschnitte im Grunde waren (sehr einfache, stark verrauschte Aufnahmen einer Akustiksession), hat Martin sie für The Beatles (50th Anniversary Edition) so rekonstruiert und präpariert, dass sie nun als Unplugged-Aufnahme gefangen nehmen, die nichts von ihrer ursprünglichen Intimität verloren haben. Drei weitere CDs beinhalten fünfzig Arbeits- und Alternativ-Versionen aus dem Aufnahmeprozess, die unter anderem in ›Good Night (Take 22)‹ einen ganz wunderbaren Ringo-Moment schenken. ›Cry Baby Cry‹ zur Orgel ist Heavy-Rock der späten Sechziger, der forsche ›Year Blues‹ ein beißender Heavy-Blues.

Auch frühe Begegnungen mit ›Hey Jude‹, ›Let It Be‹ und ›Across The Universe‹ finden sich darunter; ›Child Of Nature‹ kehrt einige Jahre später umgearbeitet zu ›Jealous Guy‹ auf Lennons Solo-LP Imagine wieder, die Grundidee von ›Not Guilty‹ greift George Harrison 1979 nochmal selbst auf. Dazu ein erhellendes Buch und eine Blu-ray mit hochaufgelösten Alternativ-Mixen: The Beatles (50th Anniversary Edition) ist nichts anderes als ein großes Geschenk.

(10/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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