Gary Moore

How Blue Can You Get

Provogue
VÖ: 2021

Neu und berührend

Anfang Februar jährte sich der viel zu frühe Tod von Gary Moore zum zehnten Mal. How Blue Can You Get ist nicht die erste posthume Veröffentlichung von Musik des überragenden Gitarristen. Sehr wohl aber die erste, die nicht bloß Altbekanntes oder Konzertmaterial aus den Archiven aufbereitet: Acht Studio-Nummern sind auf diesem neuen Album versammelt, die so noch nicht zu hören waren. Und das in einer Qualität, die das Fehlen jedes noch so kleinen Informationshäppchens zur Herkunft der Aufnahmen umso unverzeihlicher macht. Um Anspruchskontroversen zu umgehen und How Blue Can You Get überhaupt erst möglich zu machen, verweigern die Erben Gary Moores jede Hintergrundangabe.

Zumindest grob lässt sich das Zeitfenster der Entstehung dann allerdings doch eingrenzen. ›I’m Tore Down‹ etwa tauchte Anfang 1999 zum ersten Mal im Live-Programm des Gitarristen auf und blieb bis Ende des Jahres fester Bestandteil seiner Konzerte — die hier präsentierte Studiofassung passt auch vom Gesang und der Art des Gitarrenspiels gut in jene Schaffensphase, in der Moore sein Bluesspiel sukzessive formte, reduzierte und zur Reife brachte: Seine Freddie King-Adaption klingt mindestens wie ein Fingerzeig auf Back To The Blues (2002) mit einigen allerletzten musikalischen Spurenelementen von After Hours (1992).

Ganz bestimmt aus den Sessions zu Back To The Blues stammt das wunderbare ›Livin’ With The Blues‹. Seit Jahren kursiert eine noch nicht ganz ausproduzierte Fassung dieses Stücks auf Bootlegs, nun strahlen in diesem unbeschreiblichen Intensiv-Blues auch Orgel und Schlagzeug. Der trotz trippigen Drums sehr geerdete Slide-Blues ›Looking At Your Picture‹ hingegen ließe sich mit etwas Fantasie den experimentellen Platten Dark Days In Paradise und A Different Beat zuordnen; ›Love Can Make A Fool Of You‹ ist eine Umarbeitung des alten Corridors Of Power-Outtakes (1982), von dem im Grunde nur noch ein paar Textverse übriggeblieben sind.

Das titelgebende ›How Blue Can You Get‹ von B.B. King dürfte der Überlieferung nach ein Überbleibsel der Aufnahmerunde zu Power Of The Blues (2004) sein: Moores enorm gefühlsintensives und dabei durch und durch an Peter Green geschultes Spiel lässt sogar den arg sterilen Bass vergessen. ›Steppin’ Out‹ mag noch so sehr ein Original von Memphis Slim sein, Moores Fassung dieses Instrumentals (ohne Bläser, dafür mit gurgelnder Orgel) existiert einzig und allein wegen Eric Clapton und dessen Schaulauf auf dem epochalen Beano-Album der Bluesbreakers, das ihm als Heranwachsender als Lehrbuch diente. Für Moore ist es irgendwann zum liebgewonnenen Aufwärm- und Daddel-Instrumental geworden. Heute wirken Aufnahmen wie diese umso wertvoller: Dieser markante Ton, das Vibrato, dieser puristische Sound und das filterlos herausströmende Spiel berühren — wir haben diese Gitarrenstimme viel zu lange nicht mehr in frischer Musik gehört.

Keine Wertung
TEXT: DANIEL BÖHM

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Cover von ROCKS Nr. 104 (01/2025).