Ostersonntag 1975. Fünfzehn Mark siebzig hat die Eintrittskarte für Deep Purple in der Dortmunder Westfalenhalle gekostet. Im Vorprogramm spielt eine mir unbekannte Kapelle namens Elf, die auf Rock’n’Roll, Blues und Boogie setzt. Nicht weltbewegend — wäre da nicht dieser Sänger gewesen.
Mein Gott, was hat dieser Mann für eine Stimme!, schießt es mir durch den Kopf. Noch weiß ich nicht, dass er einen Monat vorher das erste Soloalbum des noch bei Deep Purple verweilenden Gitarristen Ritchie Blackmore mit seinen Sangeskünsten veredelt hat. Als diese LP mit dem Titel Ritchie Blackmore’s Rainbow erscheint, habe nicht nur ich, sondern die gesamte Hardrockwelt die Gewissheit, dass hier ein neuer Stern aufgeht. Allerspätestens mit dem zweiten Rainbow-Album Rising von 1976 ist klar, wer neue Maßstäbe im Rockgesang gesetzt hat.
Ronnie James Dio ist eine Offenbarung in allen Bereichen, so effektiv und punktuell genau setzt er seine ungemein charismatische Stimme ein und bereichert alle Songs mit dem vielzitierten Sahnehäubchen. Die sehr erfolgreiche Tournee zur Platte macht die Band und ihre starken Charaktere noch populärer.
Anfang Oktober 1976, wiederum Westfalenhalle. Bei einem Festival spielen Hochkaräter wie UFO mit Michael Schenker oder die Scorpions mit Uli Jon Roth, doch es sind Rainbow, die wirklich alle in ihren Bann ziehen. Vergleichbares gibt es damals nicht, so einzigartig kommt diese perfekt aufeinander abgestimmte Combo rüber.
Bonbons sind diese kleinen Improvisationen, vornehmlich bei seinem „Soloteil“ während ›Man On The Silver Mountain‹, die Dio jeden Abend anders, aber immer vortrefflich intoniert. Zahlreiche Bootlegs und Konzertmitschnitte in meiner Sammlung zeugen davon, und ich gebe ehrlich zu, dass ich auch aus diesen kleinen Kabinettstückchen Ideen für meine eigenen Songs ziehe.
Als ich voriges Jahr nach der Show von Heaven & Hell in Berlin mit ihm darüber spreche, zieht ein breites Grinsen über sein Gesicht. Überhaupt waren alle Dialoge mit Ronnie immer voller Herzlichkeit, egal wann und unter welchen Umständen.
Das erste Mal 1987 in der Essener Grugahalle ist es nur ein kurzes Gespräch im Vorbeigehen. Aber schon beim nächsten Mal ein paar Jahre später stellt er mir seine nach ihm benannte Band persönlich vor und beantwortet auch meine „Fan-Fragen“ über Rainbow und Black Sabbath ausgiebig. Er muss sie alle schon mehr als tausendmal gestellt bekommen haben, aber das merkt man ihm nicht an. Auf meine Bemerkung, dass Heaven And Hell, die erste LP von Black Sabbath mit ihm als Sänger, neben Rainbows Rising zu meinen Lieblingsalben und zu den wahren Klassikern der gesamten Rockmusik gehört, reagiert er mit einem erfreuten »Thank you«.
Auf der letzten Deutschland-Tour von Heaven & Hell im Juni 2009, wo wir als Special Guest spielen, sind seine ersten Worte zur Begrüßung: »Axel, mein Sohn, lass dich umarmen«; danach stellt er mir Geezer Butler vor. Alle weiteren Gespräche und Begegnungen während der Tournee sind voller Intensität; wir werden von der gesamten Band und ihrer Crew herzlich aufgenommen und in allen Dingen unterstützt.
Auf meine Dankesworte dafür, dass wir überhaupt die Gelegenheit bekamen, dabei zu sein, entgegnet er: »Ihr hab den Job gekriegt, weil ihr gut seid!« So was geht runter wie Öl. Unsere jeweils aktuellen CDs, die ich ihm bei allen Gelegenheiten zustecke, scheinen ihm zuzusagen. Auch unsere Cover-Artworks haben es ihm besonders angetan, aber das nur am Rande…
Bei der Verabschiedung nach der letzten Show in Bonn haben wir aus Zeitgründen nur noch kurz Gelegenheit, miteinander zu reden. Als ich ihn um eine Antwort bitte, kommt er meiner Frage zuvor: »Geht es um Rainbow?« Nur halb, denn ich will bloß wissen, warum er in seiner Dankesliste bei The Devil You Know, dem Debüt von Heaven & Hell, als Letztem Ritchie Blackmore dankte; das hatte er nach seinem Abschied von Rainbow 1978 nie gemacht. Er habe es nur getan, meint er, weil Tony Iommi auf seiner Liste Ozzy Osbourne dankte; mit einer Rainbow-Reunion habe es nichts zu tun, denn dazu wäre er auf gar keinen Fall mehr bereit. »Wir bleiben in Verbindung«, sagt er zum Abschied, »bye-bye.« Es war mein letztes Gespräch mit Ronnie James Dio.
Unabhängig von seiner grandiosen Musik, die er über all die Jahre schuf und an deren Erfolg er maßgeblich beteiligt war, von Elf über Rainbow, Black Sabbath, seiner eigenen Band Dio und schließlich Heaven & Hell, war er vor allem ein überaus netter Mensch, der nicht nur mir immer das Gefühl gab, herzlich willkommen und „Teil der Familie“ zu sein.
Ronnie James Dio wird ewig in seiner Musik und in den Herzen aller Fans weiterleben, denn Götter sterben nicht. Niemals!