Die Geschichte ist immer wieder schön: Als die Rolling Stones mit ihrem eigenen Label in den Startlöchern standen, forderte Decca eine letzte Single ein, die ihnen die Band noch schuldete. Die Gentlemen fackeln nicht lange und lieferten prompt den brillanten, kommerziell aber völlig unverwertbaren ›Cocksucker Blues‹ — und verschwanden in die Freiheit. Sticky Fingers ist 1971 das erste Album für ihre eigene Plattenfirma und ein souveräner Beleg der kreativen Schlagkraft, mit der sich die Rolling Stones breitbeinig als Band der Siebziger aufstellen. Es ist das erste komplette Album, an dem Mick Taylor als neuer Gitarrist mitwirken konnte und eine beachtliche Weiterentwicklung ihrer letzten LPs Let It Bleed (1969) und Beggars Banquet (1968). Die Stones rocken forsch, hart und lässig und suhlen sich Rhythm’n’Blues, in Stax-Soul, Country und jazzigen Jams — es ist ein wahres Bilderbuch-Album von einem Klassiker, das überwiegend auf Jaggers Landsitz, in den Londoner Olympic Studios und in den Muscle Shoals Studios in Alabama entstand und zu dem Ry Cooder eine berührende Slide-Gitarre in ›Sister Morphine‹ beisteuerte: Verglichen mit dieser wunderbaren Nummer wirken die offensichtlichen Klassiker ›Brown Sugar‹ oder das phänomenale ›Bitch‹ nicht nur sleazy, sondern vergleichsweise klobig.
Der Clou dieser Deluxe-Edition ist das üppig spendierte Zusatzmaterial: Es gibt ›Brown Sugar‹ mit Eric Clapton und etliche weitere als Alternativ-Fassung und Akustik-Versionen, außerdem zwei Konzertmitschnitte des Jahres 1971 aus dem Londoner Roundhouse und der Leeds University.