In der Film-Dokumentation zu Turning To Crime sagt euer Gitarrist Steve Morse, das Beste und das Schlechteste zugleich bei dieser Produktion sei gewesen, dass Bob Ezrin nicht anwesend war. Das war ja nicht so ganz ernst gemeint, aber…
(Beide lachen laut.)
Ian Paice: »Naja, mit Steve und Bob, das ist so eine Hassliebe. Bob findet toll, was Steve spielt. Aber manchmal meint er, dass Steve schon zum Schuss kommt, bevor er überhaupt angefangen hat. Dann sagt er eben: Bau’ es langsam auf!«
Wie unterscheidet sich Bob Ezrins Einfluss bei der Produktion dieses Albums von dem der drei vorangegangenen?
Ian Paice: »Bob musste viel weniger Input geben dieses Mal. Wenn wir neue Musik erschaffen, ist Bob ein integraler Bestandteil der Arbeit und sorgt dafür, dass wir keine Zeit auf Dinge verschwenden, die zu nichts führen. Wenn man selbst drinsteckt, kann das passieren. Er betrachtet das von außen und sagt: Das ist großartig, daran solltet ihr weiterarbeiten. Oder eben: Lasst das, lasst euch was anderes einfallen. Diesen Blick braucht man manchmal, und wenn man seinem musikalischen Gespür vertraut, sollte man ihm folgen. Er will, dass jeder Track großartig wird.«
›The Battle Of New Orleans‹ ist wirklich witzig: ein Song, der vom Sieg der Amerikaner über die Briten im Jahr 1814 bei New Orleans handelt. Manch einer wird denken: Jetzt haben sie endgültig den Verstand verloren.
(Beide lachen laut.)
Ian Paice: »Das war Rogers Idee. Lonnie Donegan hatte in den späten fünfziger Jahren einen großen Hit mit diesem Stück, das war die Zeit der Skiffle-Musik, und die bedeutet Roger sehr viel.«
Don Airey: »Der hat auch mal an einer leisen Stelle in einer Zugabe von jetzt auf gleich angefangen, das zu singen.«
Ian Paice: »Roger ist eben ein verhinderter Frank Sinatra. Er liebt es einfach, zu singen.«
Das ist wohl ein gutes Beispiel dafür, dass ihr euch auf einem solchem Album Dinge erlauben konntet, die ihr mit eigenen Songs sicher so nicht hättet machen können.
Ian Paice: »Klar! Das war für uns die Lizenz, ein bisschen Spaß zu haben.«
Don Airey: »Und der Text erst: „We fired our guns and the British kept a-comin. There wasn’t as many as there was a while ago…“«
Ian Paice: »Also, die Briten singen das quasi gegen sich selbst.«
Das ist wahrscheinlich das, wovon wir Deutschen glauben, es sei britischer Humor.
(Beide lachen laut.)
›Shapes Of Things‹ ist auch interessant, weil es in zwei ganz unterschiedliche Teile zerfällt. Ich dachte, das steckt ja ein Metal-Riff drin, der dann auch am Ende auftaucht. Aber die ersten zwei Minuten sind doch eher Psychedelia.
Ian Paice: »Ja, zwei verschiedene Tempi.«
Wie seid ihr vorgegangen, wenn ihr euch einen solchen Song oder auch ›White Room‹ vorgenommen habt? Stücke, die praktisch jeder in unserem Alter kennt. Was braucht das, um noch Sinn zu ergeben?
Ian Paice: »Eine werkgetreue Kopie zu machen ist einfach blödsinnig. Klar, kann man das tun, aber es wird nie so gut sein wie das Original. Egal was du auch unternimmst. Man kann ein paar Sachen hinzufügen und gleichzeitig respektvoll mit der Vorlage umgehen und es sich zu eigen machen, ohne den Song zu zerstören. Ich denke, das haben wir bei einigen Tracks sehr effektiv gemacht, bei anderen sagten wir uns: Stopp, das kannst du nicht ändern. ›White Room‹ ist so einer.«
Der Sänger muss die Emotionen eines Songs transportieren, er ist das Aushängeschild der Musik. Also muss er eine Beziehung zu dem jeweiligen Song haben. Gab es welche, bei den Ian Bedenken hatte?
Ian Paice: »Das hätte passieren könne, aber sobald Ian genug Selbstvertrauen hatte… Haben wir ein paar Tonarten geändert…?«
Don Airey: »Ja, haben wir schon.«
Ian Paice: »… um es seiner Stimme angenehmer zu machen. Aber das ist ganz normal. Dann zeigte er enorme Flexibilität, sich in ganz unterschiedlichen Stilen zu bewegen. Nimm den Ray Charles Song — das ist Jazz, oder nenn’ es Jazz-Blues. Und siehe da: Seine Performance ist fantastisch. Das fühlt sich sogar an, als wäre er geboren, mit einer Big Band zu singen.«
Ihr spielt ›Watching The River Flow‹ von Bob Dylan. Auch das ein Song, den man von Deep Purple überhaupt nicht erwartet hätte.
Ian Paice: »Das kommt auch wieder von Roger. Er ist ein großer Dylan-Verehrer. Er sieht in ihm ein Genie und schlug diese Nummer vor. Wenn ich das vorgeschlagen hätte, hätten wir es etwas langsamer gespielt. So wirkt es ein bisschen aufgekratzt, aber Roger wollte es genau so haben. Seine Vorlage war eine Live-Aufnahme von Dylan.«
Don, du sagst in der Doku: „It’s a party record.“ Ist es das?
Don Airey: »Habe ich das gesagt?«
(Paice lacht.)
Don Airey: »Ja, doch, das stimmt schon. Es hat viel Spaß gemacht, diese Songs zu spielen. Etwas wie ›Oh Well‹ zu spielen, war ein Lebenstraum von mir. Ich habe schon mal versucht, das aufzunehmen, aber es hat nicht wirklich funktioniert. Es nun mit Ian Gillans Gesang zu hören — welch eine Wonne!«
Ihr konntet nicht touren mit Whoosh!…
Don Airey: »Hoffentlich nächstes Jahr.«
Werden dann Songs von Turning To Crime ihren Weg auf die Bühne finden?
Don Airey: »Schon möglich.«
Ian Paice: »Wir müssen abwarten, wie das Album bei den Fans ankommen wird. Ich bin nicht sicher, ob wir einen dieser Songs im Hauptteil der Show unterbringen können. Aber es spricht nichts dagegen, wenn die Leute nach Zugaben rufen, etwas von dieser Musik zu spielen, die ja einfach nur Spaß machen soll. Aber wir wollen da keine festen Regeln aufstellen, genauso wenig wie bei der Frage, welche Songs von Whoosh! wir spielen werden.«
Gibt es eine Chance auf ein weiteres Album mit Originalmaterial von Deep Purple?
Ian Paice: »Es ist nur eine Frage des Timings. Fest steht auf jeden Fall: Wenn es soweit ist, wird wieder Bob Ezrin mit dabei sein. Es ist eine Freude, mit ihm zu arbeiten. Und der Sound, den er uns gibt, ist der beste, den wir je hatten.«
Apropos Sound: Ich hatte Bob Ezrin und Ian Gillan letztes Jahr gefragt, ob es nicht mal einen Remix von Rapture Of The Deep geben könnte: Ein großartiges Album mit schrecklichem Klang. Später war zu lesen, Roger denke über einen Remix nach. Aber seither habe ich nichts mehr davon gehört. Wie ist da der Stand der Dinge?«
Don Airey: »Roger hat die Multitrack-Aufnahmen…«
Ian Paice: »Ja, das Album hat ein Problem. Aber es ist kein Problem, das man heutzutage nicht lösen könnte. Der Raum, in dem wir damals aufgenommen haben, war nicht größer als dieses Hotelzimmer… einfach zu klein.«
Insbesondere der Schlagzeugsound ist extrem muffig, klein und trocken.
Ian Paice: »Wir haben versucht, mit einer gehörigen Portion Echo was zu retten, das Schlagzeug besser klingen zu lassen. Heute könnten wir das elektronisch auseinandernehmen und einen ganz neuen Klang aufbauen...«
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Eine weiterführende Geschichte zu Turning To Crime findet sich im kommenden ROCKS Nr. 86 (01/2022), das am 08. Dezember 2021 erscheint!