David Bowie

Schlaglicht auf... "Aladdin Sane" (1973)

In einer turbulenten Zeit lässt David Bowie Aladdin Sane entstehen: Ein musikalisch großes Album, das fast wie eine amerikanische Breitwand-Broadway-Ausgabe von Ziggy Stardust anmutet — um harten Schnodder-Rock aber nicht verlegen ist.

TEXT: MARKUS BARO

Als The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars im Juni 1972 erscheint, ahnt David Bowie noch nicht, dass ihm mit seinem apokalyptischen Rock-Theater eines der größten Konzept-Alben aller Zeiten gelungen war. Genauso wenig hätte er sich träumen lassen, dass sich seine Geschichte von dem Außerirdischen in der menschlichen Erscheinungsform eines Rockstars, der auf die dem Untergang geweihte Erde gekommen ist, um ihr in den letzten Tagen eine Botschaft der Hoffnung zu überbringen, als Fluch erweisen könnte.

Der Rummel um seine erschaffene Kunstfigur begann sein künstlerisches Dasein schnell zu überschatten: Am 3. Juli 1973 trug er Ziggy Stardust deshalb zu Grabe — als medienwirksame Inszenierung inmitten einer Show im vollbesetzten Londoner Hammersmith Odeon kurz vor der Zugabe ›Rock’n’Roll Suicide‹. »Sechzehn Monate war ich Ziggy Stardust, ich war müde und des Rummels um die Figur echt überdrüssig«, erklärte Bowie. Es war eine spontane Entscheidung, die der Sänger erst kurz vor der Show getroffen hatte, ohne seine Band einzuweihen, in der neben Gitarrist Mick Ronson, Trommler Mick Woodmansey und der später zu Uriah Heep wechselnde Bassist Trevor Bolder spielen.



Das Nachfolgewerk war da längst fertig: Entstanden ist Aladdin Sane zwischen Oktober 1972 und Januar des Folgejahres, als Bowie mit dem Ziggy Stardust-Spektakel in Amerika unterwegs war. »Das war ganz schon faszinierend, plötzlich in eine Stadt wie New York zu kommen«, erinnerte sich der 2013 verstorbene Bolder. »Nichts war vergleichbar mit dem, was wir aus England kannten. Alles war völlig anders. Die Vorstädte von Detroit beispielsweise waren absolut furchteinflößend, gewalttätig und bizarr. Das hat mich sehr an die Szenerien aus Clockwork Orange erinnert. Und David wohl auch, denn unser Bühnenoutfit wurde dem der Gang aus dem Film immer ähnlicher.«

Es ist eine unruhige Zeit, in der Spannungen zwischen Bowie und den Spiders From Mars aufbrechen, die sich zunehmend zu Statisten degradiert fühlen. Nicht nur die Öffentlichkeit hat nur noch Augen für den neuen Superstar, der sich zunehmend ohne seine Band in Arbeit wirft und Platten für Lou Reed (Transformer) und die Stooges (Raw Power) produziert. Auch für Manager Tony DeFries scheint nur noch der Sänger eine Rolle zu spielen, der sich gedanklich immer weiter von Ziggy Stardust entfernt.

Es ist ironischerweise das auf lange Sicht weitaus weniger aufsehenerregende Aladdin Sane, das Bowie für das interessantere und gehaltvollere Werk hält. Musikalisch wirkt Aladdin Sane wie eine amerikanische Breitwand-Broadway-Ausgabe von Ziggy Stardust, die harten Glam-Rock’n’Roll ebenso zur Aufführung bringt wie dunkel brodelnde Weltuntergangsfantasien im Titelstück und theatralisch Überzeichnetes in ›Time‹, ›Cracked Actor‹ oder ›Drive-In Saturday‹.



»David hatte ein gutes Gespür, die Talente seiner Musiker zum Vorschein zu bringen«, erläutert Keyboarder Mike Garson, der das Ensemble als jüngster Neuzugang erweitert. »Für den Titelsong wollte er kein Gitarren-, sondern ein Piano-Solo. Ich habe alle möglichen Melodien ausprobiert, aber nichts hat David zufriedengestellt. In meinem Frust habe ich dann diese disharmonischen, jazzigen Klavierakkorde gespielt und noch einen kleinen Part von ›On Broadway‹ eingebaut. Und da fing er an zu strahlen und wurde ganz euphorisch: „Das ist es! Genau das habe ich mir vorgestellt“. Es gibt Genies, die beim Erschaffen von Musik gezielt nach etwas ganz Bestimmtem suchen und eine sehr konkrete Idee umsetzen müssen. David hat manchmal einfach aufmerksam gewartet, bis das Passende ihn findet.«

Der leicht psychedelisch anmutende Titelsong, der vollständig ›Aladdin Sane (1913-1938-197?)‹ heißt, ist eins der ungewöhnlichsten Anti-Kriegs-Lieder der Rockgeschichte. Garsons Burlesque-inspirierte Piano-Akkorde schlängeln sich durch das Musical-artige ›Time‹, und die von Chopin inspirierte und an ein James Bond-Thema erinnernde Ballade ›Lady Grinning Soul‹ beendet das Album mit schwelgerischen Bläserklängen auf romantische Weise.



Und doch ist Aladdin Sane, auf dem das musikalische Chamäleon neben Gitarre auch Saxofon, Synthesizer und Mundharmonika bedient, gleichzeitig eins seiner rockigsten Alben. ›Watch That Man‹ etwa besticht durch eine rotzige Glam-Rock-Lässigkeit, die von den Rolling Stones inspiriert ist, was die Coverversion von ›Let’s Spend The Night Together‹ weiter unterstreicht. Im ungewöhnlich garstigen ›Cracked Actor‹ oder dem Riff-Rocker ›Panic In Detroit‹ betritt Bowie Heavy-Rock-Territorium und gibt auch einem schon zu den Akten gelegten Stück eine zweite Chance. In der gefloppten Single-Version von ›The Prettiest Star‹ hatte zunächst Marc Bolan von T.Rex die Gitarre gespielt; die Spiders polieren den unbesungenen Glamrock-Klassiker für Aladdin Sane noch einmal neu auf.

Zum Hit des Albums wird aber die Ode an den alten Freund Iggy Pop. ›The Jean Genie‹ bleibt die Spitzenposition in England nur wegen ›Block Buster‹ verwehrt, der ersten härteren Single der vormaligen Bubblegum-Rocker Sweet, der fast der gleiche Riff zugrunde liegt.



Auf seine Zeit mit David Bowie blickte Trevor Bolder lange mit gemischten Gefühlen zurück: »Ich glaube nicht, dass Bowie ohne die Spiders From Mars denselben Erfolg gehabt hätte. Zumindest nicht in so kurzer Zeit. An diesen wunderbaren Alben waren Musiker beteiligt, die auf eine ganz spezielle Art und Weise zusammenspielten. Klar, komplette Lieder haben wir keine gemeinsam geschrieben. Arrangiert allerdings haben wir viel! Etliche seiner Song-Ideen hat David uns auf einer Akustischen vorgeklampft — erst mit uns als Band wurden die Stücke Rockband-tauglich.«

Die Bowiemanie geht derweil weiter. Als Sänger alleine ist der Superstar längst nicht mehr ausgefüllt, und so gerät der Song ›Cracked Actor‹ schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung von kurzzeitigem Untergang und Zerfall. Aladdin mit dem ikonischen Blitz-Make-up wiederum mag ein vergängliches Phänomen gewesen sein, aber sein Geist ist bis heute präsent und treibt in der Populärkultur immer mal wieder an die Oberfläche.


Dieser Text stammt aus ROCKS Nr. 89 (04/2022).

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