John Sykes ist tot. Der einflussreiche Gitarrist verlor mit 65 Jahren den Kampf gegen seine Krebserkrankung. Berühmt wurde der als John James Sykes geborene Brite in den Achtzigern als blonder Lockenschopf, der Thin Lizzy und Whitesnake neues Leben einhauchte. Für sein saftig-muskulöses Riff-Spiel wird er ebenso verehrt wie für sein so energisches, mit sehr kontrolliertem Vibrato verziertes Melodiespiel. Und nicht zuletzt für seinen unverkennbare Ton, der bis heute vielen als Referenzsound und Maß aller der Dinge gilt, wenn ein Marshall-Verstärker mit einer Les Paul zerrend vermählt werden soll. Seine legendäre 1978er Les Paul Custom taufte er liebevoll „Black Beauty“.
Seine musikalische Karriere begann Sykes im Umfeld der NWoBHM. Nach einer kurzen Zeit bei Streetfighter, wo er unter anderem mit dem Bassisten Mervyn Goldsworthy zusammenspielte, der später mit Diamond Head, Samson und FM bekannt werden sollte, schloss sich der Mann aus Reading schließlich den Tygers Of Pan Tang an. Zwei LPs (Spellbound und Crazy Nights, 1981) und zwei weitere Songs (The Cage, 1982) nahm er mit den Raubkatzen auf, ehe er dem Drang folgte, sich musikalisch verändern zu wollen. »Allerdings war ich vertraglich noch an die alte Plattenfirma MCA gebunden«, erzählte der Engländer. »Die einzige Möglichkeit, aus diesem Vertrag herauszukommen, bestand in der Veröffentlichung einer Solo-Single. Chris Tsangarides, den ich noch von den Tygers kannte, hat mir eine Zusammenarbeit mit Phil Lynott empfohlen. Während der Aufnahmen von ›Please Don’t Leave Me‹ (1993 ein Mini-Hit für die dänischen Pretty Maids) hat es dann musikalisch zwischen uns gefunkt.«
So stark sogar, dass Lynott den Gitarristen zu Thin Lizzy bat, um seiner Band zu alter Frische und neuer Härte zu verhelfen. Tatsächlich brachte Sykes auf dem 1983 erschienenen Thunder And Lightning (›Cold Sweat‹) jene aggressive Power zurück in den Lizzy-Sound, die sich seit Gary Moores Abgang 1979 hörbar verflüchtigt hatte. Doch die Wiedergeburt von Thin Lizzy mündete bereits ein halbes Jahr später in deren Trennung. Aber auch bei seiner nächsten Karrierestation sollte Sykes die Rolle des Erneuerers zufallen.
Anfang der achtziger Jahre waren bei Whitesnake finanzielle Nöte und ein heilloses Personaldurcheinander ausgebrochen. David Coverdale hatte einen Vertrag beim US-Label Geffen unterschrieben, das Whitesnake zur großen Attraktion in Amerika machen wollte. Der eigens für den amerikanischen Markt angefertigte neue Mix von Slide It In (1984) ging dem Sänger nicht weit genug. Er ersetzte Ende 1983 seinen langjährigen Begleiter Micky Moody durch den jüngeren, fotogeneren und weniger offensichtlich im Blues verhafteten John Sykes, der die Gitarren der Platte zum Teil neu einspielte.
»Ich wollte, dass das Blues-Element mehr rockt. Darum habe ich Leute wie John Sykes und Cozy Powell geholt«, erinnert sich der Sänger. »Sie sollten Whitesnake unter Strom setzen und mir dabei helfen, die Band vor allem in den USA erfolgreicher zu machen.« Beides gelang. Noch viel mehr mit 1987, das im Hardrock und Heavy Metal der Achtziger neue Maßstäbe setzte. Mit monumentalem Sound und starken Songs, aber eben auch durch die durch und durch beeindruckende Gitarrenarbeit des bald wieder entlassenen John Sykes: ›Bad Boys‹, ›Still Of The Night‹, ›Give Me All Your Love Tonight‹ und die Neufassung von ›Here I Go Again‹ machten den Gitarristen unsterblich.
Sykes zog weiter und gründete mit Bassist Tony Franklin und Schlagzeug-Veteran Carmine Appice die Hardrock-Formation Blue Murder: Dem Debut Blue Murder (1989) folgte in andere Besetzung Nothin' But Trouble (1993) als zweites Studio-Werk. Mitte der Neunziger reformierten John Sykes und Scott Gorham Thin Lizzy als Tribute-Band für das Leben und Wirken des 1986 verstorbenen Frontmannes Phil Lynott; bis 2010 stand Sykes ihnen als Gitarrist und Sänger vor.
Als Solo-Künstler nahm er zwischen 1995 und 2000 vier weitere Studio-Alben auf. Ein fünftes — John Sykes oder auch Sy-Ops — befand sich seit Jahren in Arbeit, blieb jedoch unvollendet und unveröffentlicht. Es wäre seine erste Platte seit Nuclear Cowboy (2000) gewesen. 2011 wurde bekannt, dass er mit Bassist Billy Sheehan und Schlagzeuger Mike Portnoy eine neue Band ins Leben gerufen hatte. Doch dann zog sich Sykes überraschend aus der Formation zurück, die schließlich an seiner Stelle mit dem singenden Gitarristen Richie Kotzen unter dem Namen The Winery Dogs von sich reden machte.
»Er wird vielen als Mann mit großem musikalischen Talent in Erinnerung bleiben«, würdigte ihn sein Umfeld in der Todesnachricht am 20. Januar 2025. »Für jene, die ihn nicht persönlich kannten: Er war ein fürsorglicher, liebevoller und charismatischer Mensch, der mit seiner Anwesenheit einen Raum erhellen konnte.« Ein genaues Todesdatum ist nicht bekannt; seine Webseite gibt lediglich das Jahr 2024 an. John Sykes wurde 65 Jahre alt.
Sykes in Scheiben — eine Auswahl
Tygers Of Pan Tang
Spellbound
(1981)
Die zweite Scheibe der Tygers Of Pan Tang ist New Wave Of British Heavy Metal ohne den Punk-Spirit von Iron Maiden, die stählernen Akkorde von Saxon oder den Pop-Ansatz von Def Leppard. Nach dem Einstieg von John Sykes wird der auf dem Debüt Wild Cat noch rüde Sound der Gruppe geschliffener. Stücke wie ›Gangland‹ oder ›The Story So Far‹ sind von stürmischen Riffs, eingängigen Melodien, der voluminösen Stimme des Frontmanns Jon Deverill und den Doppel-Gitarrenläufen von Sykes und seinem Partner Robb Weir geprägt. Noch etwas unentschlossen pendelnd zwischen Heavy Metal (›Hellbound‹) und opernartig inszeniertem Rock (›Don’t Stop By‹), konnte das Quintett vom Schwung der einsetzenden Schwermetall-Welle auf lange Sicht nicht profitieren.
Tygers Of Pan Tang
Crazy Nights
(1981)
Musikalisch fokussierter als die vorherige Platte, legt Crazy Nights nur ein halbes Jahr später den Schwerpunkt auf kurze, riffbetonte Kracher wie ›Do It Good‹ oder ›Raised On Rock‹. Bluesige Hardrocker (›Lonely Man‹, ›Stormlands‹) weisen Jon Deverill als eine der stärksten Genrestimmen Englands aus. Das limitierte musikalische Konzept ist ihm aber hörbar zu eng geworden — genauso wie dem wieder furios aufspielenden Sykes. Nach einer Tournee im Vorprogramm von Ian Gillan verschwindet der Klampfer über Nacht mutmaßlich in Richtung Ozzy Osbourne. Er taucht jedoch bei Thin Lizzy wieder auf, an deren umjubeltem Schwanengesang Thunder And Lightning er gitarristisch wesentlich beteiligt ist. Die Tygers tüfteln 1982 mit Ersatzmann Fred Purser das experimentell geratene Album The Cage aus, auf dem John Sykes noch mal in zwei Nummern zu hören ist.
Blue Murder
Blue Murder
(1989)
Nach seinem königlichen Beitrag zu Whitesnakes 1987 und dem folgenden Rauswurf gründet Gitarrist John Sykes mit Bassist Tony Franklin und Trommler Carmine Appice ein Power-Trio mit einer Menge Potential. Das von Bob Rock produzierte Debüt begeistert mit exzessivem, über weite Strecken atemberaubendem Gitarrenspiel, das Sykes auf meterdicke Keyboardteppiche bettete. Epische Songs wie ›Valley Of The Kings‹, das explosive ›Riot‹ oder die Ballade ›Out Of Love‹ geraten auf Blue Murder zum perfekten Musterbeispiel für intelligenten, virtuos und spielfreudig inszenierten Metal, der trotz offensichtlicher Vorbilder wie Whitesnake, Rainbow, Led Zeppelin oder Thin Lizzy eigenständig genug ist.
Blue Murder
Nothin’ But Trouble
(1993)
Der exzellente Einstand war auf ganzer Linie gefloppt und es dauerte satte vier Jahre, ehe Blue Murder ihr zweites, diesmal von Sykes selbstproduziertes Album erschien. Appice und Franklin sind nur noch als Gäste dabei, an ihre Stelle sind zwar gleichfalls kompetente, aber weniger inspirierte Studiomusiker getreten. Die Bombast-Anklänge sind einem rauhen, geraden Hardrock-Ansatz gewichen, der wie in den Neunzigern üblich eine ganze Ecke kantiger produziert ist. Nicht alle Lieder können so überzeugen wie der mit Killer-Chorus versehene Einstieg ›We All Fall Down‹, das bewegende ›I Need An Angel‹ oder die gelungene Coverversion des Small-Faces-Klassikers ›Itchycoo Park‹.
Blue Murder
Screaming Blue Murder — Dedicated To Phil Lynott
(1994)
Mit der Besatzung des zweiten Scheibe verbeugt sich Sykes im Dezember 1993 mit einer wahrhaft beseelten und leidenschaftlichen Performance vor seinem musikalischen Mentor. Vom Pomp der Studioversion befreit, rocken ›Riot‹ oder ›Billy‹ vom Erstling wie die Hölle, auch ›We All Fall Down‹ vom Zweitwerk erweist sich als formidabler Live-Knaller. Nicht zuletzt dank des Gitarristen exzellenter Gesangsdarbietung sind die vorzüglichen Versionen von Lizzy-Klassikern wie ›Cold Sweat‹ oder ›Dancin’ In The Moonlight‹ die Initialzündung für die Wiederbelebung der Blech-Liesel, die John Sykes zwei Jahre später anschiebt. Gegen Ende gibt es auf Screaming Blue Murder sogar noch eine schön ruppige Fassung des Whitesnake-Hits ›Still Of The Night‹.