Seventh Wonder

Drei Eckpfeiler und der Faktor Song

Technische Klasse und ein Sinn für eingängige Melodien müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen. Das beweisen die schwedischen Prog-Metaller Seventh Wonder auf ihrem aktuellen Album The Testament.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: PR/Frontiers Records

Der sechste Dreher der Schweden ist trotz der biblischen Referenzen kein Konzept-Werk, obwohl sich Vorgänger wie Tiara (2018) oder das 2008 veröffentlichte Mercy Falls als echte Prachtexemplare des Genres erwiesen hatten. Explizit als solches hatte Bassist und Bandchef Andreas Blomqvist allerdings nur Mercy Falls konzipiert.

»Damals wollte ich eine Schrift des schwedischen Literatur-Nobel-Preisträgers Harry Martinson vertonen, die mich schon lange fasziniert hatte. Bei den anderen Scheiben war das eher ein Zufallsprodukt. Es fällt mir relativ leicht, ein übergeordnetes Thema zu finden und mich dann von einem Stück zum nächsten zu hangeln, aber das hat sich bei The Testament einfach nicht angeboten. Wobei die Songs, die menschliche Gefühle wie Furcht, Wut, Hoffnung oder Verlangen in Musik ausdrücken, untereinander thematisch schon verbunden sind. Ich fand das ungemein spannend und eine größere Herausforderung, als Lieder zu einem vorgegebenen Thema zu verfassen.«



Gegründet wurden Seventh Wonder von Blomqvist, Gitarrist Johan Liefvendahl und Trommler Johnny Sandin im Jahr 2000. Nach den Aufnahmen ihres Debüts Become (2005) trennten sie sich von Sänger Andi Kravljaca und verpflichteten Tommy Karevik. Spätestens seit dem Zweitwerk Waiting In The Wings (2006) liefert der Fünfer verlässliche Qualitätsarbeit. Auch dann noch, als Karevik seit 2012 als Mitglied der amerikanischen Power-Metaller Kamelot zu größerer Bekanntheit gelangt und als Gast auf den Ayreon-Alben The Theory Of Everything, The Source und jüngst Transitus mitwirkt.

Die Gefahr, dass der vielumworbene Vokalist Seventh Wonder aus Termingründen verlässt, sieht der Bassist dennoch nicht. »Er ist für mich einer der besten Sänger des Genres. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis eine größere Band auf ihn aufmerksam wird. Dass wir nach The Great Escape eine Pause von acht Jahren einlegen mussten, muss und kann ich akzeptieren. Für Tommy sind Kamelot eine einmalige Chance, aber er steht auch einhundert Prozent loyal zu Seventh Wonder.«



Zumal der Ausnahmesänger für die musikalische Identität der Truppe unabdingbar geworden ist. Er liefert die Zutaten, die andere Bands des Progressive-Metal-Genres gerne unter den Tisch fallen lassen, auch wenn Blomqvist Seventh Wonder nur bedingt als solche versteht. »Nach meinem musikalischen Verständnis sind Songs der wichtigste Faktor, erst wenn die stehen, denken wir über musikalische Verzierungen nach. Ich höre in dem Genre viel zu oft einfach bloß die üblichen Metal-Riffs, die auf acht Minuten ausgedehnt und dann Progressive Metal genannt werden.

Mir mangelt es da oft an Fantasie und der nötigen Emotion. Unseren Sound würde ich eher als melodischen Power-Metal mit progressiven Anleihen bezeichnen. Mit Tommy können wir gar nicht anders, man kann ihm komplizierte Brocken mit zwanzig Taktwechseln in der Minute in ebenso vielen verschiedenen Tonarten vorwerfen, und er kommt trotzdem immer mit sensationellen Melodien an, die alles zusammenhalten. Ein echtes Genie.«



Ihre Ausnahmestellung belegen Seventh Wonder auch auf The Testament. Lieder wie ›Warrior‹, das leicht an die Anfänge der Kollegen Europe erinnernde ›The Light‹ oder das sinfonische ›The Red River‹ paaren virtuose technische Wendungen mit eingängigen Melodien. »›The Red River‹ behandelt übrigens nicht den alten John Wayne-Western, sondern das Thema Wut«, lacht Blomqvist.

»Das finde ich hervorragend umgesetzt, obwohl die etwas düstere Grundstimmung eigentlich gar nicht so recht zu Seventh Wonder passt. Stolz bin ich auch auf ›Carry The Blame‹. Das arbeitet die drei Eckpfeiler unseres Sounds hervorragend heraus. Ich liebe es seit meiner Jugend bombastisch, heavy und melodisch. Damals waren Trash von Alice Cooper und Awake von Dream Theater meine Lieblingsscheiben und mein Herz schlägt bis heute für diese musikalischen Extreme.«



Dieser Text stammt aus ROCKS Nr. 89 (04/2022).

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