Das Jahr begann holprig. Ihre Tournee im Vorprogramm der kalifornischen Streetrocker Buckcherry versprach ein großer Spaß für die Band aus Cambridge zu werden, nahm letztlich aber einen für The Treatment enttäuschenden Verlauf. »Josh Todd, der Sänger von Buckcherry, hatte sich eine fiese Atemwegserkrankung eingefangen, die immer kritischer verlief und schließlich zur Tourabsage führte«, berichtet Schlagzeuger Dhani Mansworth, der seine über die Jahre hinweg von mehreren Sängerwechseln geplagte Band noch als junger Teenager ins Leben rief.
»Weil wir eh unterwegs waren, haben wir dann in den betroffenen Städten oder deren näherer Umgebung kostenlos Konzerte gespielt. Das war anstrengend und hat ein bisschen Improvisationstalent erfordert, weil wir mancherorts erst noch Clubs für unsere Auftritte finden mussten. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Die Leute haben sich über die Gigs gefreut, und das hat unsere Arbeit um ein Vielfaches aufgewogen.«
Bei diesen Konzerten stellten The Treatment bereits ›Back To The 1970’s‹ vor, die erste Auskopplung aus Wake Up The Neighborhood, ihrem mittlerweile sechsten Studioalbum. Es ist eine Nummer, mit der sich die 2008 gestartete Band stilistisch etwas abseits jener Pfade bewegt, die sie üblicherweise beschreitet — und zunächst durchwachsene Reaktionen bei ihren Anhängern auslöste, wie Gitarrist Tagore „Tag“ Grey schmunzelnd erzählt.
»Wir haben bewusst diesen Song als erste Single ausgewählt, weil er manch einen vor den Kopf stoßen oder zumindest verblüffen dürfte. Es gibt so viele Nummern von uns, die diesen speziellen AC/DC- oder frühen Def Leppard-Schlag haben, auf den wir an sich schon ziemlich stehen und die es auf Wake Up The Neighborhood natürlich auch gibt. Aber als erste Single war uns das diesmal einfach zu platt und zu vorhersehbar.«
»Wir stehen eben nicht nur auf die Schmuddel-Sounds von AC/DC oder Rhino Bucket, sondern auch auf die ganzen alten Glam-Bands, was wir in der Vergangenheit immer mal wieder auch auf Platte gezeigt haben, auf Generation Me zum Beispiel. Und jetzt eben auch in ›Back To The 1970’s‹. In dem Song passiert einiges, was auch bei Slade oder The Sweet denkbar gewesen wäre. Das Stück versprüht mit all diesen vielen Mitsing-Passagen einfach eine Unmenge positiver Energie — und schien uns deshalb die bessere Wahl zu sein. Sowas kann man in dieser düsteren Zeit, in der wir gerade leben, ganz gut gebrauchen.«
›Back To The 1970’s‹ ist einer der letzten Songs, die Anfang 2023 für Wake Up The Neighborhood entstanden. Als The Treatment im April letzten Jahres ins Studio gingen, hatten Mansworth, Tag Grey, sein ebenfalls Gitarre spielender Bruder Tao, Sänger Tom Rampton und Bassist Andy Milburn dieses und zehn weitere Stücke verinnerlicht.
»Der Vorgänger Waiting For Good Luck (2021) war das erste Album unserer Karriere, das wir live im Studio eingespielt haben«, holt Dhani Mansworth aus, dessen Vater Laurie in den frühen Achtzigern Gitarrist der NWoBHM-Band More (Warhead, 1981) war und heute als Mentor, Manager und Mitkomponist einiger Stücke die Geschicke von The Treatment lenkt. »Das war eine lehrreiche Erfahrung, die uns einen großen Schritt näher an unsere Vorstellung vom perfekten Sound gebracht hat. Es war klar, dass wir bei Wake Up The Neighborhood genauso verfahren würden, darum mussten die Songs perfekt sitzen, ehe wir ins Studio gingen.«
Auf der Stelle treten will das Quintett mit seinen Alben nicht. Mögen AC/DC, Buckcherry, Def Leppard und Aerosmith nach wie vor als maßgebliche Inspirationsquellen der Musiker herhalten, deren Einfluss auf ihren Platten unschwer zu deuten ist, will sich die Truppe nicht als Nachlassverwalter einer grandiosen Hardrock-Ära verstanden wissen.
»Wir haben uns diesmal für ein anderes, wesentlich moderneres Studio entschieden, weil wir unsere Songs etwas zeitgemäßer in Szene setzen wollten«, sagt Tag Grey, der The Treatment wie Mansworth seit den Anfangstagen angehört.
»Zuletzt haben wir in den Rockfield Studios aufgenommen, was natürlich der blanke Wahnsinn war. Diese Räumlichkeiten atmen Rockgeschichte und mancher Flur dort gleicht einem Museum: Es hat Fotos und Instrumente großartiger Künstler, wohin das Auge blickt und allein der Gedanke, am selben Piano zu sitzen, auf dem Freddie Mercury einst ›Bohemian Rhapsody‹ gespielt hat, ließ uns ehrfürchtig erschaudern. Es gibt nichts, was gegen dieses Studio spräche.«
»Allerdings wollen wir uns mit Wake Up The Neighborhood nach vorn orientieren und auch mal etwas Neues wagen. Wir haben uns dieses Mal bewusst für das prächtig ausgestattete Vada Studio entschieden, wo Platten solcher Bands wie Killing Joke, Bullet For My Valentine und The Darkness entstanden sind. Die Studiobetreiber und Produzenten haben ein Händchen dafür, rabiate Rockmusik nahe am Puls der Zeit zu verorten, ohne sie anbiedernd klingen zu lassen. Wir finden, das ist ihnen auch mit Wake Up The Neighborhood gelungen.«
Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 100 (03/2024).