Metallica

...And Justice For All (Deluxe Box)

Universal
VÖ: 2018

Anders als alles andere

Nach den Edel-Editionen von Kill ’Em All, Ride The Lightning und Master Of Puppets sind Metallica bei der Aufbereitung ihres vierten Klassikers in Folge angelangt. Dieser geriet in seiner umfänglichen Wirkung zwar nicht halb so monumental wie der Vorgänger von 1986. Nichtig wird sein Einfluss deshalb aber nicht — dafür hat alleine schon die Hit-Auskopplung ›One‹ (wahlweise ein Anti-Kriegs-Song oder eine Miniaturfassung von Tommy im Thrash-Format) viel zu viele Menschen mit der Band in Berührung gebracht. …And Justice For All war das erste Album, auf dem Metallica nicht bloß nach Instinkt spielten, sondern eine Idee konstruierten, der manch einer eine schwer zu ertragende Selbstbezogenheit vorwarf, die dann auch noch an einem seltsam ausgehöhlten Sound litt. Genauso lässt sich …And Justice For All allerdings auch als verschachtelt strukturiertes Studio-Abenteuer genießen, das Riffs und Breaks en masse zu bieten hat, die in beinahe progressiv anmutenden Thrash-Perlen der Sorte ›Blackened‹, ›The Frayed Ends Of Sanity‹ oder dem Neuneinhalbminuten-Instrumental ›To Live Is To Die‹ zusammenlaufen.

Als sich Metallica im Januar 1988 in den One On One Recording Studios in Hollywood für die Aufnahmen einnisteten, ging es nicht nur darum, den Nachfolger des goldprämierten Master Of Puppets einzuspielen, sondern die erste LP ohne ihren Bassisten Cliff Burton, dessen Unfalltod gerade etwas mehr als ein Jahr zurück lag. Die Band wollte eine Platte, die grundlegend anderes war als alles, was man bisher von ihr kannte — nichts anderes ist ihr mit …And Justice For All gelungen. Dass im finalen Mix Jason Newsteds Bass nur mit großem Wohlwollen herauszuhören ist, trägt zum sehr speziellen Soundcharakter ebenso bei wie zum Mythos, der dieses Album bis heute umgibt. Dieser wird von Metallica weiterhin gepflegt: Ein Roh- oder alternativer Mix mit den existierenden Originalbassspuren ist so ziemlich das einzige, was einem in dieser wertvollen Box vorenthalten wird. Dafür bieten gleich mehrere Tonträger Einblicke in die unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Musik: Es gibt Auszüge aus James Hetfields sagenumwobenen Riff-Tapes. Aufnahmen aus dem Proberaum, die einen dabei zuhören lassen, wie Riffs und Parts gelernt werden. Und auch Demo-Skizzen und Arbeitsversionen, bei denen Newsted nicht versteckt wurde.

Neben dem Album als Doppel-LP auf 180 Gramm (das Original-Werk, der Bass ist unwesentlich präsenter), der hübschen ›One‹-Single (10-“Picture-Disc) ist das exzellente und exklusive Live-Album Seattle ’89 enthalten, das auf drei Schallplatten den Konzertmitschnitt auferstehen lässt, der Anfang der Neunziger als Video Bestandteil des Boxsets Live Shit: Binge & Purge war. Auf den elf beiliegenden CDs finden sich an die 130 weitere Konzertaufnahmen (134 Einzelstücke) in besserer Bootleg-Qualität. Dazu gibt’s kleinteilige Gimmicks wie einen Tourpass, bestickte Aufnäher sowie einen Kunstdruck — und nicht zuletzt abermals ein hochwertiges Buch mit etlichen Abbildungen und informativen Lesetexten, die den Anschaffungspreis (knapp 200,- Euro) von …And Justice For All (Deluxe Box) für sich schon rechtfertigen. Auf der Auslaufrille der LPs findet sich übrigens die Gravur „Made on the MetalliPress“: Die Band besitzt mittlerweile ihre eigene Vinylpresse.

(10/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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