Heute erscheint das neue Whitesnake-Album Flesh & Blood, dem wir unser 18-seitiges Titelspecial ebenso gewidmet haben wie dem langen Lebens- und Karriereweg des David Coverdale. Da man weder Flesh & Blood noch Come An' Get It den ganzen Tag lang in Endlosschleife hören kann, haben wir zum Whitesnake-Wochenende weitere Vertreter der Schlangenartigen herausgesucht, die sich wiederzuentdecken lohnen
The Snakes
Once Bitten… (1998)
Anfang der Neunziger findet in der Moody Marsden Band das Gitarrengespann der originalen Whitesnake wieder zusammen, die in Never Turn Our Back On The Blues (1992) und Unplugged Live In Hell Norway (1994) zwei Konzertmitschnitte veröffentlichen. Noch im selben Jahr erscheint unter der Firmierung Moody Marsden, mit Real Faith ein Studio-Album mit überwiegend neuen eigenen Songs, einschließlich einer Neuaufnahme von ›Foolin‘ With My Heart‹. Aufmerksamkeit erregen sie erst, als sie 1998 mit dem damals kaum bekannten Jørn Lande einen begnadeten Sänger aufgabeln, der David Coverdale verblüffend nahe kommt.
Zusammen nehmen sie Once Bitten… auf: ein Album, das die wesentlichen Charakterzüge von Whitesnake in begeisternden Songs vereint und bluesigen Hardrock bietet, der die Herkunft seiner Urheber gar nicht erst zu verstecken versucht. Wenngleich wieder ohne Keyboarder, verspricht die folgerichtige Firmierung als The Snakes nicht zuviel: ›Real Faith‹ erinnert nun stark an ›Ain’t Gonna Cry No More‹, Songs wie ›The Dancer (The Liar)‹ oder ›Tough Love‹ verlangen förmlich nach einem Coverdale, der hier durch Jørn Lande bestens vertreten wird. Eines der beste Whitesnake-Alben ohne den Bandgründer.
Gotthard
Dial Hard (1994) / G. (1996)
Als sich Gotthard 1992 der Welt vorstellen, wird traditioneller Hardrock gerade zu Grabe getragen. Und doch etablieren sich die ungestümen Schweizer um den unvergessenen Sänger Steve Lee bereits mit ihren ersten drei LPs als feste Größe in Europa. Dial Hard ist das zweite Album der Band, das in einem Tonstudio in Los Angeles entstand. Abermals scheinen sie Whitesnake, Krokus und Deep Purple miteinander zu verschmelzen, nur ist Dial Hard merklich härter als das erfolgreiche Debüt, wirkt natürlicher, hat mehr Groove und enthält mit ›Mountain Mama‹, ›She Goes Down‹ oder dem Cobra-Cover ›I’m Your Travlin’ Man‹ (mit dem genialen Beatles-Remake ›Come Together‹ gibt es noch eine zweite Cover-Version) künftige Konzertfavoriten.
In ihrer Heimat räumen Gotthard erstmals Platin ab, und auch in Deutschland landet Dial Hard über mehrere Wochen in den Albumcharts. Dass das nachfolgende G. von vielen als bestes Gotthard-Werk gefeiert wird, liegt an der Balance der Extreme, die der Band so vorzüglich gelungen ist. Neben emotionalen und balladesken Momenten besitzt die Scheibe mit ›Sister Moon‹, ›Make My Day‹ oder ›Fist In Your Face‹ brettharte Gegenstücke. G. wird nach seiner Veröffentlichung Anfang 1996 schnell mit einer Platinauszeichnung in der Schweiz bedacht, in Deutschland schafft es das Album in die Top 50.
Badlands
Voodoo Highway (1991)
Mit seinen Beiträgen zu Bark At The Moon und The Ultimate Sin wurde Jake E. Lee als Gitarrenheld von Ozzy Osbourne bekannt. Erfüllung fand der Halbjapaner allerdings erst mit der Band, die er gemeinsam mit dem Bassisten Gregg Chaisson, Schlagzeuger Eric Singer und dem stimmgewaltigen Ray Gillen (beide Black Sabbath) initiierte. Auf ihrem titellosen Erstling geben sich Badlands 1989 ziemlich energischem Siebziger-Hardrock hin, der nicht zuletzt wegen Gillens phänomenaler Gesangsdarbietung Assoziationen zu Led Zeppelin und Whitesnake unausweichlich macht.
Lees Soli bleiben virtuos, geschmackvoll und erdverbunden; seine Riffs spielt er weiterhin mit hackend-hartem und tief einschneidendem Anschlag der Gitarrensaiten. Das exzellente zweite Album trommelt drei Jahre später Racer X-Sänger Jeff Martin ein: Der knochentrockene Klang ist ausgesprochen organisch gehalten und überhaupt baut Voodoo Highway noch viel vehementer am Heavy-Blues der Siebziger: Deftige Hardrocker wie ›Whiskey Dust‹, ›Soul Stealer‹ und ›Silver Horses‹ wirken dadurch unerhört vital; herausragend ist zudem die Interpretation der James Taylor-Nummer ›Fire And Rain‹.
Mit Dust entsteht noch eine dritte LP, die erst fünf Jahre nach dem Tod Gillens erscheint. Der Sänger starb 1993 an den Folgen seiner HIV-Infektion.
Voodoo Circle
Broken Heart Syndrome (2011) / More Than One Way Home (2013)
Mit allerhand subtilen Zwischentönen bediente sich Broken Heart Syndrome (2011) einer Sprache, die Whitesnake und Rainbow in den Siebzigern beherrschten wie sonst niemand. Auf ihrer zwei Jahre später nachgeschobenen dritten LP hakte sich der deutsche Fünfer noch enger bei Coverdale & Co. unter, sprang musikalisch allerdings ein Jahrzehnt weiter: In More Than One Way Home hat sich die Band um Gitarrentüftler Alex Beyrodt (Primal Fear, Sinner, Rock Meets Classic) und dem als Sänger von Pink Cream 69 bekannt gewordenen David Readman ihr ganz eigenes 1987 aufgetürmt, das unerwartet stark von den Sounds, den Riffs und der prägnanten Solo-Arbeit des damaligen Whitesnake-Saitenkünstlers John Sykes gespeist wird. Welches dieser Alben besser ist, deren lebendige Produktionsweise man sich so sehr für das neue Whitesnake-Opus Flesh & Blood gewünscht hätte, muss jeder für sich selbst herausfinden — beide sind ausgezeichnet. Auf die Sprünge helfen womöglich diese Anspieltipps: ›Devil's Daughter‹ (Broken Heart Syndrome) und ›Graveyard City‹ (More Than One Way Home).
Berggren Kerslake Band
The Sun Has Gone Hazy (2014)
Ob an der Seite von Micky Moody und Bernie Marsden als M3 oder als Anführer der Company Of Snakes: Musikalisch ist Stefan Berggren überall dort zu Hause, wo er seine Faszination für den klassischen Whitesnake-Sound der Siebziger ausleben kann. Genau das tut er auch in der Berggren Kerslake Band, die er gemeinsam mit Veteran Lee Kerslake auf den Weg brachte, der lange Jahre als Schlagzeuger von Uriah Heep tätig war. The Sun Has Gone Hazy verknüpft die Hardrock-Ansätze beider Formationen ganz vorzüglich miteinander (›Walk Tall‹, ›Super Sonic Dream‹) — und verströmt nicht zuletzt durch die tollen Orgel-, Moog- und Mellotron-Klänge geschmacksicheres Siebziger-Flair. Berggrens Charakter-Stimme bleibt eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Snakecharmer
Second Skin (2017)
Was für ein wunderbares, lebendiges Stück (Hard-)Rock voller Leidenschaft Second Skin doch ist, auf dem die klassischen und einzig wahren Whitesnake genauso gleichberechtigt durchscheinen wie Foreigner, die Riverdogs oder die späten Bad Company. Neuling Simon McBride, der als Bluesrock-Gitarrist bereits einige Solo-Alben veröffentlicht hat, ist als Nachfolger des ausgeschiedenen Micky Moody für reichlich frischen Wind bei Snakecharmer gut, von dem auch Chris Ousey profitiert: Auf Platte klang seine beseelte Stimme (wie ein Mix aus Eric Martin, Rob Lamoth und Lou Gramm) nie besser. Nicht zuletzt die filigranere Tiefenproduktion macht Second Skin zu einem viel besseren Album als das Debüt.
Vandenberg’s Moonkings
Vandenberg’s Moonkings (2014)
Lange hat sich der frühere Gitarrist von Whitesnake hinter der Staffelei versteckt, jetzt wagt der passionierte Maler Adrian Vandenberg die Fortsetzung seiner Karriere als Musiker. Seine neue Band ist fest in der Blütezeit des bluesverbundenen Hardrock von Led Zep und Aerosmith verortet — doch nach Siebziger-Revival klingt auf dem zeitlos-klassischen und in der Produktion erfreulich unbehauen belassenen Debüt der Moonkings gar nichts. Ein starkes Comeback des Niederländers, der zudem einen überaus charismatischen Sänger für sich gewinnen konnte, der dazu beiträgt, dass die Scheibe zuweilen stark an Coverdale gemahnt. Der gibt sich bei der Neueinspielung von ›Sailing Ships‹ sogar selbst die Ehre.