Sweet Electric

Gesamtpaket mit Glitter

Sweet Electric mögen ihren mit Spaß beladenen Street-Rock bunt und ungezwungen: In The Monsters Are Rising erscheint nun das erste Album des in Köln ansässigen Quintetts, das zwischen AC/DC und D-A-D seine Funken versprüht.

TEXT: PETER ENGELKING |FOTO: PR

Dass ein australischer Musiker nach Deutschland auswandert, um seine Passion für Rock’n’Roll ausleben zu können, klingt für hiesige Ohren einigermaßen sonderbar. Musikalisch verbindet man mit dem fünften Kontinent gemeinhin Bands wie AC/DC, Rose Tattoo, die Angels, Cold Chisel oder Midnight Oil — womöglich erinnert man sich auch noch an Wolfmother und Airbourne. Was sollte es in unseren Breiten also zu entdecken geben, das es im Land der Kängurus nicht gibt?

»Eine florierende Szene«, schießt es aus Brad Marr heraus. Der Sänger muss es wissen. Seit 2012 beackerte er von Melbourne aus die Clubs seiner Heimat als Kopf der Street-Rock-Band Massive, mit der er im Laufe der Zeit drei Alben veröffentlichte. Vor rund sieben Jahren packte Marr dann seine Koffer und machte sich auf den Weg nach Europa.

»Hier ist es echt kuschelig, alles liegt so nah beieinander. In Australien sind die Entfernungen ganz andere«, erklärt der Sänger. »Hier gibt es etliche erreichbare Clubs, in denen das Leben pulsiert. Und es gibt haufenweise Leute, die sich auch für aufstrebende Underground-Bands interessieren. Australien tickt in all diesen Punkten echt vollkommen anders. Ich lebe mittlerweile in Köln, habe hier eine Familie gegründet und mit Sweet Electric eine neue Band. Kurzum: Ich fühle mich hier pudelwohl!«



Der hibbelige Frontmann steht während des Gesprächs am Herd, brutzelt für seine Partnerin und seinen kürzlich eingeschulten Sprössling das Abendessen und ist immer zu einem Späßchen aufgelegt. Marr ist sichtlich glücklich mit seiner aktuellen Situation. »Sweet Electric genießen meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Allerdings haben wir Massive nicht aufgelöst, als ich nach Europa verschwunden bin. Die Band befindet sich lediglich im Schlummer-Modus. Sollte uns morgen Slash anrufen und uns ins Vorprogramm von Guns N’ Roses bitten, wären wir flugs zum Aufbruch bereit«, kichert er. »Wenn er nach Sweet Electric fragen würde, wäre das allerdings ein ganzes Stück geiler.«

Die beiden ersten Sweet Electric-Stücke fanden bereits vor zwei Jahren ihren Weg ins Internet. Zu ›Heir To The Throne‹ und ›Monster‹ entstanden im Frühsommer 2022 Videoclips, die auf den gängigen Plattformen schnell Anklang fanden und ihre Band ins Rollen brachten.

In den beiden Gitarristen Mike Schneider und Michael Krol hatte Marr direkt nach seiner Ankunft in Nordrhein-Westfalen Mitstreiter gefunden, die vor Kreativität und Tatendrang übersprudelten. »Die beiden kannte ich bereits, als ich nach Deutschland gekommen bin«, erklärt der Sänger. »Sie haben mit ihrer damaligen Band The Gäs mal im Vorprogramm von Massive gespielt, wir haben uns damals auf Anhieb super verstanden. Als ich nach Köln kam, waren sie meine ersten Ansprechpartner, um coole Clubs zu finden, in denen ich mir Konzerte anschauen konnte.«



Eine gemeinsame Band stand seinerzeit noch nicht auf der Agenda der drei Musiker. Erst als Schneider den Australier darum bat, ihm bei einigen seiner geschriebenen Songs bei den Texten weiterzuhelfen, sprang der Funke über: Zusammen mit Jonas Bareiter (Bass) und Nico Stallmann (Schlagzeug) riefen sie schlussendlich Sweet Electric ins Leben.

»Um den alten Genre-Säcken mal ein bisschen auf die Pelle zu rücken«, meint Marr. Dass ihnen dies tatsächlich ein Anliegen ist und nicht bloß eine lockere Floskel, machen sie auch in ›Heir To The Throne‹ deutlich, in dessen professionell gefertigten Clip die als Krankenschwestern verkleideten Musiker vehement versuchen, den zum Greis hergerichteten Brad Marr in den Ruhestand zu schicken.

»Seien wir doch mal ehrlich: Für manchen Rocker wäre es echt an der Zeit, die Bühne endgültig zu verlassen. Ich will niemandem zu nahe treten oder Verdienste absprechen — immerhin haben so viele dieser altgedienten Musiker mit großartigen Alben Geschichte geschrieben, die uns heute all das tun lassen, was wir tun. Aber wenn sie heute auf der Bühne keinen Ton mehr treffen, ihre Texte vom Teleprompter ablesen müssen oder Arthritis-bedingt die Akkorde nicht mehr greifen können, wird es echt Zeit für die Rente. Genießt doch euren Lebensabend daheim am Kamin und überlasst die Bühnen den Nachkömmlingen! Das ist die Message, die wir in ›Heir To The Throne‹ zum Ausdruck bringen wollen.«



Das Kurzfilmchen macht deutlich, wie wichtig Sweet Electric das Spaß-Element ihrer Sache ist. Gepaart mit einem gewissen Faktor sympathischer Selbstironie kommt dieses auch bei ihren Konzerten nicht zu kurz, die sie zuletzt im Vorprogramm von Phil Campbell And The Bastard Sons durch England tingeln ließen: Wenn sich der nicht besonders große und astralbekörperte Marr für seine Bühnenauftritte in einen glitzernden Trainingsanzug zwängt, entbehrt das nicht einer gewissen Komik — und mancher Assoziation mit einer verdammt goldenen Leberwurst.

Den optischen Aspekt solle man aber bloß nicht überbewerten, sagt der Frontmann, der mit seiner Combo im zurückliegenden Jahr den WDR davon überzeugte, eine ihrer Shows für den Rockpalast aufzuzeichnen. Ganz ohne ein Album oder eine Plattenfirma: Alles was bei Sweet Electric passiert, geschieht in kompletter Eigenregie.

»Es macht uns halt Spaß, mit all diesen öden Rock’n’Roll-Stereotypen zu brechen. Wir alle haben in der Vergangenheit in so vielen Bands gespielt, in denen wir mit schwarzen Shirts und in schwarzen Jeans cool auf die Bühne geschlurft sind und Lachen in Anwesenheit von Kameras streng untersagt war. Jetzt komm: Es muss doch nicht alles auf Seriosität getrimmt und stocksteif sein! Ein bisschen Glitter und ausgefallene Klamotten gehören in unserem Fall einfach zum Gesamtpaket.«



Anfang November erscheint ihr erstes vollwertiges Album. Entstanden ist The Monsters Are Rising im Studio des in Szenekreisen auch bekannten Dirk Baldringer, der sich in den Achtzigern als innovativer Technik-Tüftler und Fachmann für Modifikationen von Marshall-Amps weit über die Landesgrenzen hinaus einen legendären Ruf erarbeitete. Ganz gleich, ob das Pendel in Richtung klassischem Riff-Rock ausschlägt oder in ›Living It Up‹ hibbeligem James-Gang-Funk die Tür geöffnet wird: Sämtliche Kompositionen auf The Monsters Are Rising haben Hand und Fuß und bringen Sweet Electric in ihrer offenen und ungezwungenen Art zumindest latent in die Nähe der Dänen D-A-D.

»Mike Schneider sorgt bei uns für die Erdung«, erklärt Marr. »Er komponiert die meisten unserer Songs und ist ein klarer Verfechter der alten Schule. Er schwört auf Bands wie AC/DC und Aerosmith — was man ›Piece Of The Pie‹, ›Hard Times‹ oder ›Killer Katharina‹ auch sehr deutlich anhört. Allerdings wollen wir keine Band sein, der man am Ende nachsagen könnte, ein Airbourne-Plagiat zu sein, bei uns kommen ganz unterschiedliche Einflüsse zum Tragen. Eine gewisse Farbvielfalt muss es in unserer Musik einfach geben.«



Auch The Monsters Are Rising vertreiben Sweet Electric in Eigenverantwortung ohne Label. An außergewöhnlichen Ideen, auf sich aufmerksam zu machen, mangelt es ihnen nicht: So startete das Quintett am zweiten Sonntag im September zu ihrer „eintägigen Welt-Tournee durch Köln“. »Wir haben unsere Instrumente und ein bisschen Equipment eingepackt und sind im Tagesverlauf an sechs verschiedenen Stellen in der Stadt aufgetreten. Draußen, umsonst und mit viel Spaß in den Backen. Anfangs kam nur eine Handvoll Menschen. Aber unsere Aktion hat sich schnell über die sozialen Netzwerke herumgesprochen, so dass sukzessive mehr Publikum zu den später avisierten Orten kam. Alles lief prima! Nur an einer Örtlichkeit haben uns die Bullen den Saft abgedreht, weil es wohl Anwohnerbeschwerden gab. Banausen!«


Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 103 (06/2024).

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