Sweet

Steve Priest (1948-2020)

Steve Priest ist tot. Der Bassist der populären Sweet, die als Glam- und Bubblegum-Rocker ihre Karriere begannen, abseits ihrer Singles aber immer begeisterte Hardrocker waren, wurde 72 Jahre.

TEXT: MARKUS BARO

Die Todesmeldung bestätigte Sweet-Gitarrist Andy Scott: »Ich bin erschüttert. Steve Priest ist von uns gegangen. Obwohl es um seine Gesundheit zuletzt schlechter bestellt war, habe ich diesen Moment nie kommen sehen. Meine Gedanken sind bei seiner Familie. Er war der beste Bassist, mit dem ich je gespielt habe. Ruhe in Frieden, Bruder.«

Stephen Norman "Steve" Priest, geboren am 23.2.1948 in London, gehörte zu den Gründern der populären Sweet, die als Glam- und Bubblegum-Rocker ihre Karriere begannen, abseits ihrer Singles aber immer begeisterte Hardrocker waren — mit mächtigem Einfluss bis weit in die Achtziger hinein.

Nachdem sich die Band 1979 von ihrem Lead-Sänger Brian Connolly getrennt hatte, führten er, Andy Scott und Trommler Mick Tucker Sweet bis 1982 fort. 1994 veröffentlichte Priest seine Autobiographie Are You Ready, Steve?. Nach dem Tode Connollys (1997) und Tuckers (2002) ist Steve Priest nunmehr das dritte Mitglied der alten Sweet-Garde, das nicht mehr unter uns weilt.


Vier virtuose Sweet-Versuchungen
Text: Daniel Böhm
 
Sweet Fanny Adams (1974)
Anschaulich demonstriert bereits das scharf-metallische Eröffnungsstück ›Set Me Free‹, wie wenig Lust Andy Scott & Co. an dem glitzernden Teen-Band-Image haben, das ihnen anhaftet: Die vermeidliche Singles-Combo ist auf Sweet Fanny Adams zu einer waschechten Hardrock-Gruppe gewachsen. ›Heartbreak Today‹ verlötet den frühen Glam- und Pop-Appeal mit einer harten Boogie-Figur und auch Nummern wie ›Rebel Rouser‹, ›Peppermint Twist‹ und ›AC-DC‹ kokettieren mit hartem Bubblegum-Rock. Darin und dazwischen brettern und sägen furiose Metal-Riffs, famose Soli (›Sweet F.A.‹) und ausgeklügelte Gesangsharmonien mit Verweisen auf Queen: Eine ausgezeichnete LP, ohne die es Nachfolgebands wie Mötley Crüe einige Jahre später kaum gegeben hätte.
 
Desolation Boulevard (1974)
Ein gutes Stück poppiger und weniger zusammenhängend als der Vorgänger Sweet Fanny Adams — dafür aber auch abenteuerlustiger. ›The Six Teens‹ ist eine melancholische, von rhythmischen Akustikgitarren beschrammelte Pop-Hymne, ›Solid Gold Brass‹ ein marschierendes Glamrock-Monster mit epischem Aufbau. Der größte Coup auf Desolation Boulevard ist ›Fox On The Run‹: Ein Klassiker schierer Sound-Kraftmeierei, der die allerbesten Momente von Slade und Kiss zusammenbringt, erst in einem sagenhaft stimmungsaufhellenden Refrain und dann auch noch in einem tollen Gitarrensolo gipfelt. Die ein Jahr später mit veränderter Songbestückung erschienene US-Version enthält neben dem frühen Gassenhauer der Chinn/Chapmann-Ära ›Ballroom Blitz‹ außerdem Stücke von Sweet Fanny Adams und die modifizierte Hit-Version von ›Fox On The Run‹ von 1975.
 
Give Us A Wink (1976)
Das erste Album, das die Gruppe ganz ohne Liedzugaben oder fremde Hilfe fertigt. Motiviert wie verblüffend ambitioniert spielen Sweet mit der Sorte Pomp-Rock, die Queen in den Siebzigern zur Perfektion brachten, deftigen Riff- und Hookline-Freuden (›Action‹) und Reminiszenzen an Led Zeppelin (›Cockroach‹, ›Healer‹). Filigran und überschäumend vor musikalischen Visionen.
 
Off The Record (1977)
So richtig, wichtig und gut wie Give Us A Wink aus künstlerischer Perspektive auch gewesen sein mag: Für die Anhänger ihrer glitzernden Frühzeit war die Scheibe eine verdammt kalte Dusche. Off The Record bringt sämtliche Errungenschaften der vergangen drei Jahre temperamentvoll mit dem Bubblegum-Appeal der Erstwerke zusammen — perfektioniert in Ausarbeitung und voluminöser Härte. ›Lost Angels‹, ›Fever Of Love‹ und das bei aller Schmissigkeit ziemlich angriffslustige ›Live For Today‹ lassen die goldene Single-Ära aufblitzen. Mehr aber nicht: Den Weg zurück in ganz alte Verhaltensmuster blockieren aufeinandergetürmte Gitarren- und Chorharmonien in Anlehnung an Queen und wuchtige Hardrock-Riffs; in ›Windy City‹ scheint geradezu Deep Purples ›Woman From Tokyo‹ auszuhärten. Verkannt und leichtfertig übersehen ist die Gitarrenarbeit von Andy Scott — und das längst nicht nur auf Off The Record.
 
 
 

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