Vicious Rumors

VÖ:

So geht Power Metal

Wer es versäumte, sich die zwischen 1986 und 1991 erschienenen Alben von Vicious Rumors in den Originalpressungen in die Sammlung zu stellen, wird es höchstwahrscheinlich mehrfach bedauert haben: Die Kurse, die mittlerweile für Soldiers Of The Night (1986), Digital Dictator (1988), Vicious Rumors (1990) und Welcome To The Ball (1991) auf den einschlägigen Marktplätzen aufgerufen werden, haben durchaus das Zeug dazu, einem den Spaß an diesen Meilensteinen des US- und Power-Metal zu vergällen. Music On Vinyl legen nun das dritte Album der Band aus der kalifornischen Bay Area auf durchsichtigem blauen Vinyl wieder auf: Es ist das zweite, das in der Klassiker-Besetzung mit dem charismatischen Sänger Carl Albert, dem traumhaften Gitarrendoppel aus Geoff Thorpe und Mark McGee, Bassist Dave Starr und Schlagzeuger Larry Howe entstand — und das erste, das die Gruppe über das Major-Label Atlantic Records in die Welt brachte.
Mehr noch als Metal Church und Armored Saint stand wohl keine zweite Band jemals sinnbildlicher für den originären Genre-Terminus „Power Metal“, der in den Folgedekaden viele Wandlungen und Erweiterungen erlebte, die nicht mehr viel mit dem so erhabenen Sound von einst zu tun haben. Zu Glanz und Format gefunden hatten Vicious Rumors, die immer filigraner und in ihrem Tun so zumindest einen zaghaften Hauch dichter an Bands wie Queensrÿche musizierten, bereits auf ihrem fabelhaften zweiten Album Digital Dictator. Zwei Jahre darauf hatten sie den Härtegrad und den Druckwellen-Faktor merklich erhöht: Die kraftstrotzenden Riffs und melodischen Soli des stilistisch recht gegensätzlich interagierenden Gitarrendoppels sind unerreicht und einzigartig geblieben, gleiches gilt für den schlicht phänomenalen Gesang des 1995 tödlich verunglückten Carl Albert. Ob rasant-fliegende Hymnen wie ›On The Edge‹, energische Schwerstarbeit der Sorte ›Down To The Temple‹ oder ›Don’t Wait For Me‹: alles wuchtiger, breitschultriger, knallharter Heavy Metal der erhabensten Art, in dem längst nicht bloß das immer wieder urplötzlich aufblitzende Harmoniespiel der Gitarristen begeistert. Und auch in einer königlichen Güteklasse, der die bis unzählige Male umbesetzte Band heute leider relativ hilflos hinterherrennt: Ein Carl Albert lässt sich genauso wenig ersetzen wie Mark McGee, dessen melodisches Filigranspiel den klassischen Band-Sound noch viel stärker geprägt hat, als man es 1990 ahnen konnte.


Das Foto-Beiblatt ist ein Nachdruck der ursprünglichen Innenhülle. Die Auflage ist limitiert auf 1.500 nummerierte Exemplare.

 

(9/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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