Es ist kein Zeichen von Schwäche, dass ihr 15. Studiodreher nicht ganz an den Vorgänger Distance Over Time heranreicht, auf dem Dream Theater ein Bauchgefühl und eine Lust am Songwriting wiederentdeckten, das es in ihrer Musik schon sehr lange nicht mehr gab. Was bitteschön gibt es für die Progressive-Metal-Urgesteine heute noch zu beweisen? Die New Yorker haben im Laufe ihrer langen Karriere zu viele Glanzlichter gesetzt, als dass sie ihre Ausnahmestellung in dem von ihnen mitbegründeten Genre gefährden könnten. Auch nicht mit A View From The Top Of The World, das andere Qualitäten besitzt als der Vorgänger und den Hörer wesentlich stärker fordert, weil es — eingebettet in eine wunderbare Produktion — zunächst sehr mathematisch und auch selbstreferenziell anmutet. Im eröffnenden ›The Alien‹ etwa, das irgendwie unsauber vernäht scheint, ehe Mike Mangini das Chaos mit gewagten Breaks und irrsinnigen Schlagzeug-Kapriolen ordnet. Oder ›Answering The Call‹, bei dem John Petruccis tackernde Shredder-Riffs zu Beginn verbergen, dass sich im härtesten der angebotenen Stücke auch der stärkste Refrain verbirgt. Dagegen fällt ›Invisible Monster‹ ein wenig ab. Dessen Melodieführung hat man einmal zu oft von dem Fünfer gehört, auch wenn James LaBrie ausnehmend gut singt. Überhaupt ist ausgerechnet der zuletzt vielgescholtene Kanadier eine große Stärke dieser Platte. In dem melodischen Höhepunkt ›Transcending Time‹ erlauben sich Dream Theater eine an ›Limelight‹ erinnernde Rush-Hommage, die man so ähnlich von ›The Looking Glass‹ (Dream Theater, 2013) kennt: Diese sommerlich-leicht singenden Keyboardlinien sind einfach nur erhebend. Der Titelsong zeigt die einstigen Berklee-Studenten einmal mehr einsam auf dem Gipfel ihrer Kunst: Aus anschwellenden Orchesterklängen und bedrohlichem Riff-Gewitter schälen sich zarte Synthie-Harfen, ehe der dichte Hammond-Teppich von Jordan Rudess und ein marschierender Rhythmus ein überraschend stringentes Prog-Metal-Epos entfesseln, das es locker mit ›The Count Of Tuscany‹ (Black Clouds & Silver Linings) oder sogar ›A Change Of Season‹ (1995) aufnehmen kann und über die komplette Länge seiner üppigen zwanzig Minuten die Spannung aufrechterhält. Der allererste Eindruck täuscht: A View From The Top Of The World ist ein starkes wie tiefgängiges und durchaus beseeltes Dream Theater-Album.
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