JJ Grey

Wie ein Gespräch unter Vertrauten

Sein Groove-Cocktail aus schnodderigem Rhythm’n’Blues, hypnotischem Funk, Gospel und sumpfigem Southern-Rock hat immer mehr an warmem Soul hinzugewonnen. JJ Grey hat eine weit gefasste Definition davon, was Soul eigentlich ist. Der Meister über ihn berührende Künstler.

TEXT: VINCENT ABBATE |FOTO: Jim Arbogast

Folgt man JJ Grey, sind stimmliche Intensität, emotionale Hingabe und der Eindruck von Intimität unverzichtbare Charakteristika des Soul. Sein Verständnis geht aber weit über das rein musikalische Phänomen hinaus, macht er deutlich.

»Für mich ist es alles Soul, alles Blues, alles Rock. Ich kann zwischen den vermeintlich verschiedenen Genres kaum unterscheiden. Ich kenne uralte Folkmusik aus der Appalachen-Region, die Soul beinhaltet. Oder denke an Loretta Lynn und ihren Klassiker ›Coal Miner’s Daughter‹. Sie hat ganz eindeutig Soul! Nur deshalb wollte Jack White mit ihr etwas aufnehmen. Weil Soul drin ist! Ich meine natürlich nicht Soul als Musikgenre. Sondern das, was sich in der Musik manifestiert. Das Essen kann Soul haben. Jeder Mensch hat Soul. Und jeder Ort. Wie es sich zeigt, unterscheidet sich — aber es ist da.«



James Brown

»James Brown war ein Wesen aus einer anderen Welt. Wie sonst ist er auf diesen Sound gekommen? Niemand vor ihm hat je so geklungen, und keiner seiner Nachahmer kann ihm im Entferntesten das Wasser reichen. Er ist eine Klasse für sich — als Performer und als Sänger. Er soll seine Band ja ziemlich autoritär gedrillt haben, unglaublich, dass sie trotzdem so lässig und cool gespielt hat.

›I Can’t Stand It‹ gehört zu meinen persönlichen Highlights von ihm. Es gibt von diesem Jam mehrere Versionen. Eine hat James Brown 1971 für Hot Pants aufgenommen, die meiner Meinung nach beste stammt aber von der 1974er Scheibe Hell und heißt darauf ›I Can’t Stand It 76‹. Er spielt ein mordsmäßiges Clavinet und peitscht mit seinen Ausrufen „Red Clay Funk!“, „Soul Mutha Funk!“ oder „Hambone Funk!“ die Stimmung ziemlich auf. Maceo Parker am Saxophon ist so großartig! ›The Payback‹ (Album: The Payback, 1973) ist aus demselben Holz geschnitzt.«

Albumempfehlung: The Payback (1973)


Ray Charles

»Das erste, was mir zu Ray Charles einfällt, trifft eigentlich auf jeden meiner Lieblingssänger zu: Er sang auf eine Art und Weise, die sich wie ein Gespräch unter Vertrauten anfühlte. Er hat nie versucht, den Hörer mit Energie und Lautstärke wegzupusten. Er hat mit dir geredet. Er ließ die gesungenen Töne oft sehr langsam abklingen und manchmal sogar ganz auseinanderfallen.

Nichts an ihm war künstlich — und dazu kommt er aus meinem Heimatstaat Florida! Als er vor einigen Jahren beim Super Bowl ›America The Beautiful‹ im Stadion sang, hat es mich total umgehauen. Seine Fassung von ›Ol’ Man River‹ gehört zu meinen Lieblingsaufnahmen. Sie ist auf Sings For America, einer seiner Orchester-Platten von 2002, drauf.«

Albumempfehlung: Sings For America (2002)


Donny Hathaway

»Neben Otis Redding und Wilson Pickett ist Donny Hathaway mein absoluter Lieblingssänger. Er wurde nur 34 Jahre alt. Bis zu seinem Tod hat er recht wenig veröffentlicht, vor allem sein Konzert-Mitschnitt Live (1972) ist ein großer Schatz. Ich könnte Note für Note mitsingen.

Die Musik bewegt sich zwischen Soul, Gospel und Jazz, die Darbietung mit Rhodes-Piano, Gitarre, Bass, Percussion und Schlagzeug und die swingenden Improvisationsstrecken in ›The Ghetto‹, die ganze Atmosphäre und die Publikumsreaktionen sind einmalig. Es geht gleich los mit dem Marvin Gaye-Klassiker ›What’s Goin’ On?‹, seine Version von ›Jealous Guy‹ ist ein Klassiker, ebenso die James Taylor-Nummer ›You’ve Got A Friend‹. Oder der Schlusstitel ›Voice Inside (Everything Is Everything)‹. Oder ›Little Ghetto Boy‹. Eine Offenbarung.«

Albumempfehlung: Live (1972)


Otis Redding

»Otis Redding ist bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen, als er an der Schwelle zum Superstar stand. Er ist eine faszinierende Person, seine stimmliche Intensität und emotionale Hingabe verkörpert für mich die Quintessenz eines Soulmannes.

Erstaunlicherweise hat es etwas länger gedauert, bis ich ihm restlos verfallen bin. Natürlich kannte ich ›Sittin’ On The Dock Of The Bay‹, richtig wahrgenommen habe ich Otis aber erst mit Anfang 20, kurz bevor die Black Crowes sein ›Hard To Handle‹ aufgenommen haben. Natürlich spielen die tollen Studiomusiker von Stax bei ihm eine wichtige Rolle: Steve Cropper, Booker T. und wie sie alle heißen.

Phänomenale Musiker und großartige Songwriter. Meine Lieblingsplatte ist eindeutig die Live-Scheibe In Person At The Whisky A Go Go von 1968. Jedes Stück ist ein Hammer. Für jemanden, der nicht wie ich aus dem Südosten der USA kommt, ist es vielleicht nur schwer nachvollziehbar. Aber: Otis Redding verbinde ich mit dem Lebensstil dieser Gegend.

Die Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, meine Familie, die Kirche — sie alle drücken sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise aus. Bei uns wird die Kunst des Geschichtenerzählens gepflegt. Wir sind begeisterte Storyteller. So ist das in meiner Familie und so bin ich auch als Musiker geworden.

Otis ist einfach ein Teil der Kultur in dieser Ecke der Welt. Ich lebe im Norden von Florida, Otis kam aus Georgia, unweit von hier. Würde man in eine winzige Dorfkirche irgendwo auf dem Land gehen, würde es dort wohl ziemlich wild abgehen. Zumindest war das früher so. Heute verschwindet diese Welt langsam. Aber Otis sang mit dieser typischen, unbändigen Begeisterung, die sagt: Mann, ist dieses Leben schön.«

Albumempfehlung: In Person At The Whisky A Go Go (1968)


The Temptations

»Die meisten denken bei den Temptations bloß an ›My Girl‹. Die Ära ihrer frühen Pop-Singles mag ich auch, viel mehr aber noch ihr Zeug aus den späten Sechzigern und den frühen Siebzigern. Das ist richtig funky und abgefahren — zum Beispiel das Titelstück ihrer 1969 erschienenen Platte Cloud Nine. Anfangs waren sie eine klassische Motown-Soulgruppe und ihr Sound damit etwas glatter, eher wie Sam Cooke als Otis Redding. Ich liebe beide Strömungen. Mit ihren choreografierten Tanzbewegungen haben die Temptations Maßstäbe gesetzt.«

Albumempfehlung: Cloud Nine (1969)


Wilson Pickett

»Es gibt zwei Strömungen im Soul. Die eine ist etwas sanfter und wird von Künstlern wie Sam Cooke oder Marvin Gaye verkörpert. Die andere ist rau, von Sex aufgeladen und zuweilen richtig wild — in dieser Art der Soulmusik steht Wilson Pickett im Epizentrum. Die Hits wie ›In The Midnight Hour‹ oder ›Mustang Sally‹ kennt jeder.

Aber das ist nur die Oberfläche. Innerhalb eines Atemzugs konnte er sich stimmlich von einer Stechmücke in einen tosenden Jumbo-Jet verwandeln — der Mann war gigantisch. Für meine Begriffe hat übrigens er und nicht Jimi Hendrix die beste Version von ›Hey Joe‹ aufgenommen, wie man auf Right On von 1970 nachhören kann.

Seine Zusammenarbeit mit Roger Hawkins und den anderen Musikern des Muscle Shoals Studios war wegweisend, angeblich lieferte Picketts Version von ›Hey Jude‹ Lynyrd Skynyrd die Inspiration zu ihrem ›Free Bird‹. Auf Hey Jude spielte übrigens Duane Allman von der Allman Brothers Band Gitarre. Eine phänomenale Platte. Picketts Fassungen von ›Toe Hold‹ und ›Born To Be Wild‹ ziehen dir die Schuhe aus!«

Albumempfehlung: Hey Jude (1969)


Sly And The Family Stone

»Eine meiner absoluten Lieblingsgruppen, die einen enormen Einfluss auf mich ausgeübt haben. Ich liebe ihr gesamtes Schaffen. Ihr Sound war ungeschliffen, dreckig und sinnlich. Die Geschichten hinter ihren Aufnahmen sind ziemlich irre. So haben sie ihre Songs oft zunächst ohne Schlagzeug aufgenommen. Erst nachträglich spielte der Drummer seinen Part ein. Ziemlich verrückt. Wie eben auch die Musik von Sly And The Family Stone. Sie stehen für einen grellen, extrem tanzbaren Mix aus Soul, Funk, Rock und Psychedelic. Besonders auf There’s A Riot Goin’ On, wo Ike Turner oder Bobby Womack als Gäste zu hören sind.«

Albumempfehlung: There’s A Riot Goin’ On (1971)


Stevie Wonder

»Anfangs ist er sehr gepflegt und im braven im Anzug als „Little Stevie Wonder“ aufgetreten. Später hat er seinen Horizont erweitert und sich künstlerisch entfaltet. Ich bewundere ihn als Keyboarder und Sänger gleichermaßen. Von seinen LPs stechen für mich neben Talking Book, Fulfillingness’ First Finale und Innervisions besonders hervor. Sein Clavinet-Spiel, sein Gesang, sein Songwriting… all das hat mich einfach gefesselt.«

Albumempfehlung: Talking Book (1972), Innervisions (1973)


Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 45 (02/2015).

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