Santana

Africa Speaks

Concord
VÖ: 2019

Spielrausch in der Savanne

Nach einer epochalen Frühphase nahm die Karriere von Latin-Rock-Pionier und Gitarren-Ikone Carlos Santana ab den späten Siebzigern manch seltsame Abzweigung. Selbst als ihm 1999 mit Supernatural, angeleitet von Business-Mogul Clive Davis und unterstützt von einer ganzen Armada an Gastmusikern, ein nicht mehr für möglich gehaltener Chart-Triumph gelang, war das eher kommerziell als künstlerisch bedeutsam. Doch auf seine alten Tage läuft der gebürtige Mexikaner noch mal zu großer Form auf: Santana IV, realisiert mit seinem (nahezu komplett) reanimierten Frühsiebziger-Line-up um Journey-Gitarrist Neal Schon, erwies sich als sein inspiriertestes Werk seit Ewigkeiten; Africa Speaks, auf dem er mit Produzenten-Guru Rick Rubin seine Liebe für die Musik des schwarzen Kontinents offenlegt, ist nicht minder erstaunlich.

„All and everything was conceived here in Africa, the cradle of civilization“, sagt Santana ganz zu Anfang mit der Stimme eines Erzählers am Lagerfeuer, umrahmt von archaischem Trommelwirbel. Was dann folgt, klingt so ursprünglich und naturbelassen, als hätte Rubin die Band nicht in einem High-Tech-Studio in Kalifornien aufgenommen, sondern mitten in der afrikanischen Savanne. Die Stücke, das muss erwähnt werden, sind keine Eigenkompositionen, sondern Covers. Selbst Musik-Archivare dürften die meisten davon kaum identifizieren können, weil Santana mit anderen Titeln die Spuren verwischt hat. Am ehesten bekannt ist wohl die erste Single ›Breaking Down The Door‹, die als ›Abatina‹ vom Franzosen Manu Chao für die trinidadische Sängerin Calypso Rose geschrieben wurde (Far From Home, 2016).

Santanas nur leicht umarrangierte Version, in der unter anderem für ein Akkordeon Platz ist, klingt mehr nach karibischem Hüftschwung als nach Afrika und stellt eine radiotaugliche Ausnahme unter den elf Nummern dar. ›Yo Me Lo Meresco‹ stammt von der nigerianischen Formation P.R.O. (People Rock Outfit) und wurde unter dem Originaltitel ›Blacky Joe‹ bereits 2013 von Pedal-Steel-Meister Robert Randolph für sein Album Lickety Split aufgenommen — übrigens mit Carlos Santana als Gastmusiker. Die mühelose Coolness der Vorlage erreicht die hier gebotene Version indes nicht, an deren Ende sich der Gitarrist förmlich in einen Rausch spielt. Aus ›Chant To Mother Earth‹, einem verhallt-halluzinogenen Trip der ebenfalls in Nigeria beheimateten Psychedelic-Rocker BLO, der sich gleichermaßen auf Jefferson Airplane und ›Planet Caravan‹ von Black Sabbath zu berufen scheint, ist ein furioser Jazzrocker mit eruptiven Soli geworden. Ebenfalls exquisit: der sengend heiße Funk von ›Paraisos Quemados‹.

Africa Speaks ist gleichermaßen Jam-Ekstase und durchstrukturierte Ordnung, ist orgiastisch getrommelter Stammesritus und zivilisierte Huldigung. Zum authentischen Flair der Lieder trägt auch Buika massiv bei, eine spanische Sängerin mit Wurzeln in Äquatorialguinea, die sich mit ihrer kehlig-maskulinen Stimme voller Inbrunst in das Material wirft. Eine Entdeckungsreise der besonderen Art.

(8/10)

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