Savatage

Gutter Ballet (1989)

Auf seiner zweiten Kooperation mit Paul O’Neill entdeckt Sänger Jon Oliva das Klavier für sich und seine Lieder — und den theatralischen Bombast von Queen und Alice Cooper. Gutter Ballet ist ein Werk zwischen US-Metal-Wahnsinn und Broadway-Drama.

TEXT: DANIEL BÖHM

Nach der Schmach des fremdgesteuerten Fight For The Rock (1986) hatten sich Savatage eigentlich bereits aufgelöst. Doch dann lief ihnen Paul O’Neill über den Weg, der sich ihnen als Produzent geradezu aufdrängte und zum Weitermachen überredete.

Ihre erste Zusammenarbeit gipfelte 1987 in einem fantastischen Album, dessen Härte und metallische Riffkraft auf Tuchfühlung mit The Dungeons Are Calling und Power Of The Night (1985) ging, mit ausgeklügelten Kompositionen, erheblich filigraneren Arrangements und atmosphärischen Keyboards aber merklich neue Wege einschlug:

Hall Of The Mountain King ist als Scharnierwerk in die Geschichte der Band aus Tampa, Florida eingegangen, das die frühen US-Metal-Savatage mit der  Kunst des modernen Broadway-Musicals verbindet, die auf den noch folgenden Alben noch erheblich an Gewicht hinzugewinnen wird.



Schon auf Gutter Ballet, auf dem Sänger Jon Oliva zwei Jahre später das Klavier für sich und seine Lieder entdeckte — und den theatralischen Bombast von Queen und Alice Cooper dazu. ›When The Crowds Are Gone‹ und das sagenhafte Titelstück greifen so auch inhaltlich dem nächsten großen Klassiker Streets — A Rock Opera vor, während ›Hounds‹ unheilvoll von einer Orgel untermalt wird und das voller schmerzvollem Drama steckende ›Summer’s Rain‹ unmissverständlich auf den Punkt bringt, weshalb diese durch und durch einmalige Band als Metal-Reinkarnation von Andrew Lloyd Webber verehrt wird.



›Mentally Yours‹ und ›She’s In Love‹ sind schierer Metal-Irrwitz der Oliva-Brüder Jon und Criss an Gitarre und Gesangsmikrofon, die 1991 ein allerletztes Mal gemeinsam auf Platte zu hören sein sollten.

Zum dritten Mal in Folge ließen sie dabei eine Platte entstehen, bei der man gar nicht anders kann als sie als eines der gehaltvollsten, intelligentesten und schlicht besten melodischen Heavy Metal-Alben aller Zeiten zu verehren: Die Geschichte vom Aufstieg des Dealers DT Jesus zum Rockstar, sein Absturz in Drogensucht und Gosse, den Savatage für Streets — A Rock Opera vertonten, hatte sich Paul O’Neill ursprünglich als Stoff für ein Broadway-Musical ausgedacht, der zumindest punktuell bereits in Gutter Ballet Einfloss.


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