Transatlantic

Kaleidoscope

InsideOut
VÖ: 2014

Wunderkinder im Spielzeugparadies

Das 1999 von Sänger und Keyboarder Neal Morse und Mike Portnoy als damaligem Trommler von Dream Theater gegründete Retro-Prog-Projekt geht in die vierte Albumrunde — und wird dabei abermals von Gitarrist Roine Stolt (Flower Kings) und Bassmann Pete Trewavas von Marillion verstärkt.

Wurde das traumhafte SMPTe (2000) noch verhältnismäßig streng auf dem Grundriss von Spock’s Beard errichtet und mit wonniger Flower Kings-Färbung aufgebauscht, tauchte die Gruppe auf dem monumentalen Bridge Across Forever (2001) tiefer in die Artrock-Welt der Siebziger ein und spielte mit Sounds und Einflüssen solcher Helden wie Yes, Gentle Giant, Genesis und den Beatles. So auch The Whirlwind vor vier Jahren, das mit seinem einzigen, überlangen Song stark durchgeplant war.

Dagegen wirken die fünf Stücke dieses neuen Werks (zwei sind länger als 20 Minuten) wie eine unbeschwerte Proberaum-Jam-Runde, bei der auch das Gesangsmikro herumgereicht wird. Wie Kinder im Spielzeugladen hantieren die vier im Auftaktstrudel ›Into The Blue‹ mit Versatzstücken des Siebziger-Prog, lassen stille und kraftstrotzende Passagen in rascher Folge wechseln. Gitarren und Tasteninstrumente umgarnen und duellieren sich lustvoll, ohne ein Frickel-Inferno zu entfachen. Morse favorisiert Klavier, Hammond-Orgel (nie hat sie lauter gebrüllt bei Transatlantic) und analoge Keyboardsounds, Portnoy und Bassist Pete Trewavas bilden die Grundlage für die nötige Dramaturgie mit weiser Zurückhaltung, und auch Roine Stolt setzt seine eklektischen Klänge bedächtig und akzentuiert in Szene.

Die kompakte Akustikballade ›Shine‹ (ein Überbleibsel des letzten Solo-Albums von Morse), das melancholische ›Beyond The Sun‹ und der eingängig-vertrackte, mit mächtigen Keyboardfanfaren bestückte Rocker ›Black As The Sky‹ bilden die Ouvertüre für den schwindelerregend abwechslungsreichen Titelsong. Dieser entpuppt sich als klassisches, mit jazzigen Elementen abgeschmeckte Prog-Opus, bei dem das traumhaft eingespielte Team einmal mehr eine Lehrstunde in Sachen Virtuosität anbietet und dabei stets den roten Faden im Blick behält. Groß.

Als Bonus nehmen sich die Vier wieder Handverlesenes von Größen wie King Crimson, Yes, Procol Harum oder Focus zur Brust — Stoff, an den sich nicht jeder heranwagt, den Transatlantic aber mit Bravour meistern.

 

(9/10)
TEXT: MARKUS BARO

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