Drive-By Truckers

Gleiches Thema, neues Album

Zehn Monate nach The Unraveling schicken die Drive-By Truckers The New Okay hinterher. Das Befinden ihrer amerikanischen Heimat bildet einmal mehr die thematische Basis der alternativen Roots- und Southern-Country-Rocker.

Seit der Veröffentlichung ihrer letzten Scheibe hat sich eine Menge angestaut bei Patterson Hood. Corona, Trump, alltäglicher Rassismus — unmöglich, dass der Chef der Drive-By Truckers die übliche Frist zwischen zwei Albumveröffentlichungen einhalten könnte. Wenn ihm etwas auf der Seele brennt, dann muss es raus. Ein komplettes Album hatte der Songschreiber dabei allerdings nicht im Sinn.

»Niemand ist von der neuen Platte überraschter als ich selbst«, meint der Gitarrist und Sänger. »Im Sommer schrieb ich die Songs ›The New Okay‹ und ›Watching The Orange Clouds‹. Die Plattenfirma fragte uns, ob wir daraus nicht eine EP machen wollten, zumal wir noch einige Stücke von der Session übrig hatten, aus der The Unraveling entstand. Mein erster Gedanke war: super, dann haben wir ja jetzt zwei neue Platten, mit denen wir nicht auf Tour gehen können. Aber dann habe ich mich doch noch mit der Idee angefreundet, diese Songs hier in den USA noch vor der Wahl zu veröffentlichen.«

Ab diesem Entschluss ging alles sehr schnell. Von der Komplettierung des Albums über die restlichen Aufnahmen bis hin zu Artwork und Liner-Notes benötigte die Band gerade mal sechs Wochen. Trotz erschwerter Arbeitsbedingungen.

»Mir fiel noch ein, dass ich mit unserem Drummer vor einigen Jahren ein Demo von ›The Distance‹ aufgenommen hatte. Das Stück entpuppte sich als viel besser als in meiner Erinnerung. In der Quarantäne war es nicht leicht, daran zu arbeiten, weil ich in Portland, Oregon, lebe und der Rest der Band über die Ostküste verstreut. Die Logistik war schwierig, aber jeder hat seinen Part beigesteuert. In diesen komplizierten Zeiten ist es wichtig, ein Ziel zu behalten. Meiner mentalen Gesundheit hat das jedenfalls sehr gut getan.«



Entgegen der heilsamen Wirkung, die die Arbeit für Hodd hatte, versprühen seine neuen Lieder nicht gerade Optimismus. Ein Schlüsselsong auf The Unraveling hieß ›21st Century USA‹ — und auch das neue Album ließe sich unter diesen Schirm stellen. The New Okay ist ein Album über dunkle Zeiten, obgleich der zu hörende Mix aus Tom Petty, Neil Young, Creedence Cleerwater Revival und alternativem Roots- und Southern-Rock durchaus wieder etwas positiver und gemütlicher klingt. Zudem beschließt es die „Resistance-Trilogy“, die 2016 in American Band ihren Anfang nahm.

»The Unraveling war derart düster, dass wir jetzt einen etwas freundlicheren Grundton anschlagen wollten«, erklärt Hood. »Viele unserer Fans bezeichnen The New Okay als ihr Lieblingsalbum von den dreien. Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, aber es bedeutet mir viel, dass die Leute es mögen. Was immer Menschen in diesen Tagen aufrichten kann, ist eine gute Sache.«



Inhaltlich sind American Band, The Unraveling und The New Okay nur schwer voneinander zu trennen: Sie bilden eine Art Chronik der politischen Ära Donald Trumps. Damit stehen sie auch in der Tradition der Protestmusik, von der Sonic Youth-Bassistin Kim Gordon unlängst in einem Interview meinte, deren Zeit sei vorbei. Patterson Hood widerspricht energisch:

»Wann, wenn nicht jetzt? Sicher will auch ich endlich wieder mal über andere Dinge schreiben. Aber ich bin sehr froh, dass wir diese Epoche mit unserer Musik dokumentiert und kommentiert haben. Ich habe uns immer als politische Band gesehen, aber wir haben auch so ein Geschichtsding laufen. Historische Themen waren immer Teil unserer Songs. Auf American Band wollten wir sagen: in gerade diesem Augenblick leben wir amerikanische Geschichte! Diese Zeit wird in Zukunft intensiv reflektiert und studiert werden. Es ist wichtig, die Stimmung dieser Ära festzuhalten, wenn wir mittendrin sind. Das ist der rote Faden, der sich durch diese drei Platten zieht. American Band erschien, als Trump im Begriff war, Präsident zu werden. Jetzt sehen wir ihn abziehen. Aber ich kann es kaum erwarten, thematisch loszulassen und weiterzugehen. Die letzten vier Jahre haben mich total erschöpft.«



Die Songs sind zwar vor der jüngsten Präsidentschaftswahl entstanden, der Albumtitel The New Okay scheint gleichwohl deren Ergebnis zu kommentieren und die Hoffnung für die Zeit nach der Wahl zu formulieren. »Das mag so sein. Der Titel hat aber eine andere Bewandtnis«, klärt der 56-jährige Musiker auf. »Während des Sommers wurde ich oft gefragt, wie es mir geht. Ich war in einer ziemlich gedrückten Stimmung, antwortete aber immer: I’m okay. The new okay. Das beschrieb irgendwie meine Verfassung während der Pandemie. Der zweite Hintergrund des Titels ist der, dass die White Supremacists das Okay-Handzeichen gekapert haben. Das ist ihr heimlicher Gruß. Der Titel ist ein deutliches „Fuck You!“ an diese Typen.«

Ist denn The New Okay nach den Wahlen noch dieselbe Platte wie davor? »Schwer zu sagen. Ich bin selbst gespannt. Als wir vor vier Jahren American Band rausbrachten, dachten wir, das will doch in vier Monaten keiner mehr hören. Wir haben stets allen Produktions- oder Sound-Trends widerstanden und uns nicht auf bestimmte Zeiten festgelegt. Fragen wie „Wie wird die Platte im Vergleich zu nächster Woche in zehn Jahren klingen?“ habe ich mir nie gestellt. Unsere Platten klingen immer in erster Linie nach uns. Wir in einem Raum, denn so entstehen diese Platten. Hätte es uns schon in den Achtzigern gegeben, hätten wir auch diesem fetten Eighties-Drumsound widerstanden. Mit American Band sind wir drei Jahre auf Tour gewesen, weil das Album nun mal so viele Themen dieser Epoche auffing und mit der Zeit eher noch relevanter wurde, als an Bedeutung zu verlieren. Am anderen Ende dieser Ära bin ich gespannt, wie es jetzt aussehen wird. Wir werden es wissen, wenn wir die Songs live spielen.«

Bereits auf der Tour zu American Band coverten die Drive-By Truckers den Ramones-Song ›The KKK Took My Baby Away‹. Er beschließt nur das neue Album und wirkt zugleich wie ein gemeinsamer Schlusspunkt hinter allen drei Alben. »So ist es auch gedacht«, bestätigt Hood. »Es macht Spaß, diesen kraftvollen Song live zu spielen. Als wir in Memphis große Teile der letzten Platte eingespielt hatten, mit allem komplett fertig waren und unseren Kram einpackten, weil wir am nächsten Morgen aufbrechen wollten, meinte unser Produzent David Barbe, wir müssten wenigstens noch schnell einen Live-Take von diesem Song aufnehmen. Und das taten wir. Alles ist live, unser Bassist Matt singt es in ein Bühnenmikrofon. Nur den Gang-Part im Refrain haben wir unmittelbar nach der Aufnahme alle zusammen als Overdub eingesungen. Als wir das neue Album zusammenzimmerten, haben wir uns an diesen Take erinnert. Und ja, David Barbe hatte Recht.«

Wann diese neuen Songs live zu hören sein werden, wagt Patterson Hood nicht vorherzusagen, er teilt aber die Wünsche vieler Menschen. »Wir hoffen, dass wir diese Songs nächstes Jahr doch noch auf die Bühne kriegen. Ich vermisse meine Band so sehr. Das sind meine besten Freunde. Ich vermisse ihre Kameradschaft. Es gibt ja ein paar gute Neuigkeiten bezüglich eines Impfstoffs. Vielleicht können wir dann wirklich in absehbarer Zeit wieder vor Leuten auftreten.«

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